Was bleibt?

  • Was bleibt vom Reisen, wenn ein Bisschen, ein großes Bisschen auf der Strecke bleibt?
  • Was bleibt vom Gewinnen, wenn man sich mit jedem Verlassen ein wenig selbst verliert?
  • Warum reisen wir, wenn wir doch nicht bleiben können?
  • Warum suchen wir nach dem Ort, an dem wir gar nicht ewig sein wollen, egal wie atemberaubend er auch sein mag?
  • Warum lassen wir uns unseren Atem rauben, wenn wir ihn danach doch immer und immer wieder brauchen?

Mit jedem Verlassen schwanke ich einmal mehr zwischen Weinen und Lachen, zwischen kurz in die Arme schließen und nie wieder loslassen, zwischen Abstand und Nähe, zwischen Tiefe und Weite. Ich bin keine, die einfach gehen kann, die einfach alles hinter sich lassen kann, ohne einem Abschied ins Auge zu blicken. Für mich beginnt ein Abschied lange bevor das tatsächliche Abreisedatum naht. Dafür bin ich dankbar, unglaublich dankbar, da es mir hilft, meinem Herz Zeit zu geben. Es hilft mir, mitzukommen und nicht ganz auf der Strecke zu bleiben. Aber es zwingt mich auch dazu, die letzten Tage bis zur letzten Minute zu nutzen und bewusst zu genießen.

Unter den schwierigen Abschieden, die ich schon durchlebt habe, erinnere ich mich den ersten Frankreich-Austausch in Privas, von dem ich tränenüberströmt zurückkam. Das erste Taizé-Treffen ging in einer tränenreichen Umarmung zu Ende mit den Besten, die ich damals erst seit einer Woche kannte. Das Brigitte-Sauzay-Programm auf La Réunion endete mit zwei angeknacksten Herzen. Und auch weltwärts in Indien ging nicht ohne das Gefühl des Alleinlassens und Im-Stich-Lassens vorüber.

Doch Tunesien war anders. Tunesien war – ganz anders als zuvor Marokko – eine Welt, so irreal sie auch sein mag, die mir komplett zusagte. Freunde, Freiheit und ein Ende einer langen Sinnsuche machten diese drei Monate zu einer genialen Zeit, in der ich ohne zu zögern geblieben wäre. Wäre das Praktikum in Nepal nicht eine einzigartige Chance, nahe an Indien zu kommen und so einen weiteren Teil dieses faszinierenden Puzzles zu lösen, so wäre der Flug nach Hause wohl bis in weite Ferne verschoben worden.

Was genau mich an Tunis so konkret gefesselt hat, kann ich kaum sagen. Vielleicht hatte ich einfach nur das Glück, an der richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Mit Laura gemeinsam Shaebi beim Couchsurfing Meeting treffen, beim Karaoke in der darauffolgenden Woche eine ganze Menge Libyer kennen lernen. In einer WG unter zu kommen, in der eine solche Warmherzigkeit und Gastfreundschaft herrscht, dass es wieder zu vielen neuen Entdeckungen geführt hat. Eine Arbeit zu haben, die mich herausfordert und wachsen lässt, in der ich Verantwortung erhalte und respektiert werde.

Zusätzlich dazu ist aber auch Tunesien wirklich ein atemberaubendes Land, das eine Vielfalt bietet, die ich bislang noch nicht häufig erlebt habe. Der grüne Norden mit der Grenze zu Algerien ist wunderschön und bietet Naturpanorama mit Waldüberzogenen Bergen mit Mittelmeerküste. Tunis ist so vielfältig, wie es eine 2 Millionen-Metropole mit Seen und Meer, Kultur und Auszeit nur sein kann. Karthago ist faszinierend durch den Einblick, den es in lang vergangene Zeiten bietet und der zeitgleichen Aktualität der Bauten, die es umgeben. Gen Süden beeindrucken uralte Kamelstädte wie Kairouan, das riesige Kolosseum in El-Jem, das Mausoleum von Habib Bourgiba in Monastir, der Friedhof an der schroffen Küste von Mahdia, Fischessen in Hammamet und Wolkenmeere am Cap Bon. Und an den vielen Stränden rundum Tunesien kann man sich genial treiben und die Seele baumeln lassen. So fand ich genügend Plätze, an die ich sobald wie möglich zurückkehren möchte und kann es kaum warten, die nächste Reise anzutreten.

Was also bleibt vom Reisen?

Zunächst einmal bleibt für mich der Vergleich. Der Vergleich zu einem Leben in Deutschland, das für mich nun fast ein wenig beengt erscheint. Zu sehr fühle ich mich in sozialen Konzepten gefangen und nicht gut aufgehoben. Zu oft zieht es mich in die Ferne, rastlos von Ort zu Ort, ohne mich zu Hause einfach zu 100% wohl zu fühlen. Es genügt nicht mehr, sagen viele, die im Ausland gelebt haben. Wir kommen zurück und alles ist so wie es war, bis wir merken, dass wir es sind, die sich verändert haben.

Auch bleiben die neuen Verbindungen, die entstehen zwischen mir und Menschen, die mir sonst niemals begegnet wären. Sie bringen mich voran, helfen mir dabei, mich selbst ein wenig mehr zu finden und begleiten mich auf meinem Weg, wenn auch nur für ein kleines Weilchen. Und jeder von ihnen gibt mir etwas mit, macht die Zeit unvergesslich und unglaublich wertvoll.

Und zuletzt bleibt die Erinnerung. Das kleine Träumen an wolkenverhangenen Tagen, an denen ein kleiner Lichtstrahl erscheint, der die Form eines Lachens, eines lieben Wortes oder einer schönen Begegnung trägt. Wir müssten all’ diese Erinnerungen auf Zettel schreiben und in ein Marmeladenglas packen, um sie in schlechten Zeiten immer parat zu haben. Oder wir planen einfach jetzt schon die nächste Reise, werfen uns in ein neues Abenteuer und gehen den Weg erst einmal weiter, denn in Träumen versinken, das können wir auch später noch, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, solch eine wunderbare Zeit hautnah zu erleben.

In meinem Falle geht es morgen weiter nach Nepal, wo ich ein Praktikum in der Deutschen Botschaft in Kathmandu machen werde. Somit sage ich „Beslama Tunis, es war wundervoll“, „Tschüss, kaltes liebes Deutschland“ und „Namaste Nepal“.

One thought on “Vom Reisen und Bleiben”

  1. So wunderbar geschrieben Malin, genauso geht es mir jedes Mal auch mit den Abschieden, du hast mir direkt aus dem Herzen geschrieben, wenn man das so sagen kann, hehe!
    So unglaublich treffend, ich hab mich in jedem einzelnen Satz erkannt!!

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