„Wärst du mal besser dortgeblieben“

Wenn ich Menschen von meinem Auslandssemester in Auckland und der frühzeitigen Rückkehr nach Deutschland erzähle, passiert es nicht selten, dass ich für meine Entscheidung belächelt werde. Ja, Neuseeland ist Corona-frei und der Rest der Welt nicht. In Neuseeland geht das (fast) normale Leben weiter und im Rest der Welt nicht. Neuseeländer erleben das, wovon viele andere Menschen überall auf der Welt derzeit nur träumen können. Doch wie genau sieht ein Leben nach Corona aus und kann man überhaupt von „nach Corona“ sprechen während es außerhalb der eigenen Landesgrenzen noch immer heißt: ein Leben mit Corona.

Ende März diesen Jahres ging das Land in einen der stärksten Lockdowns der Welt, wofür es seit dem 8. Juni mit Level 1 ihres Vier-Phasen-Plans („Einreisebeschränkungen aber weitgehende Aufhebung nationaler Maßnahmen“, siehe Bericht vom 11.07.2020) belohnt wird. Während global betrachtet noch kein Ende der Pandemie in Sicht ist, konnte das Virus in Neuseeland innerhalb von 2,5 Monaten so eingedämmt werden, dass man nun schon fast wieder von Normalität sprechen kann. Aber eben nur fast, denn auch in Neuseeland hat COVID-19 seine Spuren hinterlassen.

Die Folgen der Pandemie

Gesellschaft

Oberflächlich betrachtet gibt es derzeit keine gravierenden gesellschaftlichen Folgen für Neuseelands Bevölkerung. Der Alltag ist in fast allen Bereichen wieder eingekehrt und auch eine Maske muss niemand mehr tragen. Corona-geprägte Schlagzeilen in Neuseelands bekanntester Zeitung nehmen ab und das Leben in Freizeit- und Bildungseinrichtungen sowie an Arbeitsplätzen geht weiter.

Ein Thema gewinnt in Neuseeland jedoch zunehmend an Bedeutung: die psychische Gesundheit der Bürger. Während dem Lockdown wurden vor allem Einsamkeit, Isolation und familiäre Spannungen als Belastung für die mentale Gesundheit der Betroffenen genannt. Leider geht die psychische Belastung auch nach dem Kampf gegen das Virus weiter. Das Gefühl der Einsamkeit und Isolation nimmt laut Umfragen der Regierung zwar ab, was jetzt wächst ist jedoch die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen und die Angst vor möglichen finanziellen Problemen.

Abbildung 2: Eine von Neuseelands Initiativen, um Menschen in psychischen Notlagen zu unterstützen. Quelle: Mental Health Foundation.

Wirtschaft

Um die Sorgen der Bürger zu verstehen, muss man sich den aktuellen Zustand der Wirtschaft im Land genauer ansehen. Mit einem der härtesten Lockdowns der Welt (siehe Bericht vom 11.07.2020) hat das Land seiner Wirtschaft enorm geschadet und erste Schätzungen prophezeien einen langen Weg bis zur vollständigen Erholung. Der Hauptgrund hierfür ist die globale wirtschaftliche Lage, denn obwohl Neuseeland frei von COVID-19 ist und nun am Wiederaufbau arbeiten kann, wird das Land weiter unter der Pandemie im Rest der Welt leiden. Von unterbrochenen Lieferketten die den, für das Land sehr wichtigen, Handelssektor beeinflussen bis hin zum fast vollständigen Brachliegen der Tourismusbranche – Ein virusfreies Neuseeland hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, die nicht in der Hand der Regierung liegen.

Dennoch gibt sich die Premierministerin hoffnungsvoll und begründet ihren Optimismus damit, dass ihr Land durch die schnelle Bekämpfung des Virus nun einen Vorsprung bei der Wiedereröffnung und dem Aufbau der Wirtschaft hat. Laut PWC habe Neuseeland den entscheidenden Vorteil seine eher kleine Wirtschaft im Vergleich zu anderen, größeren und starreren Weltwirtschaften, sehr agil an gegebene Umstände anpassen zu können. In dem Bericht nennt das Unternehmen viele Wege, die Neuseeland nun gehen könnte, um das bestmögliche aus der Situation zu machen und im besten Fall sogar gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen. Eine Empfehlung lautet zum Beispiel, sich auf die Sektoren der Wirtschaft zu fokussieren, die nicht von anderen Ländern abhängig sind, beispielsweise den Agrar- und Landwirtschaftssektor.

Politik

Der Erfolg möglicher Wege aus der Krise hängt nun auch vom weiteren Verlauf politischer Maßnahmen ab. Bisher lag der Fokus auf den Menschen und deren Gesundheit. Der Erhalt der Wirtschaft stellte höchstens die zweite Priorität dar. Während diese Einstellung wohl entscheidend für die vorläufige Bekämpfung der Pandemie war und daher von der Gesellschaft auch weitestgehend unterstützt wurde (siehe Bericht vom 11.07.2020), steht die Politik nun vor der nächsten Herausforderung: Dem Kampf gegen wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen.

In Sachen psychischer Gesundheit, bietet die Regierung bereits viele Informationen und Hilfsprogramme an und auch finanzielle Unterstützung für Bürger mit Lohneinbußen wurde ausreichend gewährleistet. Weiterhin steht die Gesundheit der Menschen an erster Stelle, sodass Neuseelands Grenzen weitestgehend geschlossen bleiben und Rückkehrer für 14 Tage in staatlich organisierten Quarantäneeinrichtungen verweilen müssen. Dass diese Maßnahme elementar im Umgang mit dem Virus ist, zeigen aktuelle Zahlen: Derzeit (Stand 05.08.2020) befinden sich 24 Erkrankte in den Quarantäneeinrichtungen, die das Virus ohne eine solche staatliche Maßnahme in ihr

Zuhause gebracht und damit die erneute Ausbreitung von Covid-19 riskiert hätten.

Abbildung 3: Abgezäuntes Hotel, welches zur 14-tägigen Quarantäne für Einreisende genutzt wird. Quelle: Newsroom.

Season Of Uncertainty

Wenn ich Neuseeländer frage, wie ihr Leben derzeit aussieht und ob sich irgendetwas verändert hat im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie, höre ich häufig Sätze wie: „Nah, we are completely back to normal over here“. Natürlich hängt es auch stark vom jeweiligen beruflichen Umfeld ab, ob und inwiefern man nun die Auswirkungen der Pandemie spürt, aber im Großen und Ganzen ist die Stimmung im Land eher optimistisch. Nun bleibt es abzuwarten, ob Einreisebeschränkungen und Quarantäneeinrichtungen eine Wiederausbreitung von COVID-19 erfolgreich verhindern können.

Um zu meiner Heimreise zurück zu kommen: Anhand der damaligen Informationslage konnte ich zwischen einem sofortigen Heimflug und einem unbestimmten Aufenthalt in Neuseeland wählen. Mal abgesehen von der potenziellen finanziellen Belastung durch einen verlängerten Verbleib im Land, war damals noch unklar wie sich die Dinge entwickeln würden. Im Nachhinein bin ich froh, die Rückholaktion der Regierung wahrgenommen zu haben und da dies weder mein erster noch mein letzter Aufenthalt in Aotearoa war, war meine damalige Entscheidung die Heimreise anzutreten, in dieser season of uncertainty, genau richtig.

Autorin: Lena Popp

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

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