EU-Wahlen – ein kurzer Einstieg

Vom 23. bis 26. Mai finden in allen 28 Mitgliedsstaaten der EU die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Das Europäische Parlament, kurz EP, ist eines der drei wichtigsten Organe der EU und vertritt die Interessen der europäischen Bürger*innen in der Gesetzgebung. Die anderen beiden wichtigsten Organe sind der Rat der Europäischen Union, welcher die Interessen der Regierungen der Mitgliedsstaaten vertritt, sowie die Europäische Kommission als Exekutive der EU.

In Deutschland wählen wir am Sonntag, den 26. Mai, insgesamt 96 deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments (kurz MdEP). Als größter Mitgliedsstaat stellt Deutschland auch die größte Anzahl Abgeordneter im EP, welches momentan insgesamt 751 Mitglieder hat. Auf dem Stimmzettel stehen die deutschen Parteien mit jeweils den ersten zehn Kandidierenden ihrer Liste.

Die EU-Wahl 2019 ist so extrem wichtig, weil dieses Mal eine große Gefahr von den überall in Europa erstarkenden rechten, rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien ausgeht. Und was vielen Menschen nicht bewusst ist, ist, dass zu den größten Unterstützer*innen dieser Parteien nicht nur ihre Wähler*innen gehören – sondern auch und insbesondere Menschen, die nicht wählen gehen. Vielleicht habt ihr in den Sozialen Medien auch schon diesen einen Post gesehen, der das sehr einfach darstellt:
Bei einer hohen Wahlbeteiligung:
100 Wahlberechtigte
75 gehen hin (= 75% Wahlbeteiligung)
3 wählen AfD
= 4% für die AfD.
Im Gegensatz dazu – bei einer geringen Wahlbeteiligung werden rechte Parteien überproportional repräsentiert:
100 Wahlberechtigte
50 gehen hin
3 wählen AfD
= 6% für die AfD.

Kathi und ich haben uns als leidenschaftliche Europäerinnen ein paar Gedanken gemacht, die wir gerne mit euch teilen möchten, falls die eine oder der andere noch am Schwanken ist oder gar nicht so genau weiß, was die EU eigentlich mit seinem oder ihrem Leben zu tun hat.

… und was genau hat das jetzt mit mir zu tun?

Okay, es sind also Wahlen. Die sind wichtig, denn die EU ist für unser aller Leben wichtig. Aber warum genau? Darüber möchte ich aus meiner ganz persönlichen Warte einen kleinen Überblick geben.

Wie bist du zum ersten Mal auf die EU aufmerksam geworden?

Als Kind wahrscheinlich das erste Mal auf den großen Schildern an Baustellen und den Fahnen vor Gebäuden der öffentlichen Verwaltung. 

Wann hast du zum ersten Mal realisiert, dass die EU einen Effekt auf dein alltägliches Leben hat?

Ich glaube, als ich mit 14 meinen ersten Reisepass bekommen habe, auf dem unübersehbar nicht nur „Bundesrepublik Deutschland“, sondern sogar noch darüber und genau so groß „Europäische Union“ stand – denn alle Bürger*innen der 28 EU-Mitgliedstaaten haben seit 1992 auch die Unionsbürgerschaftinne, welche die jeweilige Staatsbürgerschaft ergänzt. In diesem Moment ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass die EU nicht nur eine abstrakte Regierungsebene noch über der Bundesregierung ist, sondern dass sie auch, genauso wie Deutschland, meine Heimat ist und ich als Unionsbürgerin nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe. Als ich diesen Reisepass dann mit 15 genutzt habe, um Europa das erste Mal für einen längere Zeit zu verlassen, sind mir diese europäische Einheit und die große Tragweite dieses Verbunds natürlich durch die Linse der Fremde noch viel stärker bewusst geworden.

Warum ist dir die EU wichtig?

Die Vorteile und positiven Auswirkungen, die die EU nicht nur allgemein für jede*n Bürger*in, sondern ganz persönlich für mich und mein Umfeld hat, sind unglaublich vielreich. Ich möchte hier nur drei Beispiele nennen:

  1. Regionen in Ostdeutschland haben in den letzten Jahrzehnten extrem stark von Zuschüssen aus den diversen EU-Fonds profitiert – und damit meine ich nicht (nur) Zuschüsse für Landwirt*innenbei Ernteausfällen. Insgesamt hat das Land Brandenburg zwischen 2014 und 2020 knapp 845 Mio. Euroaus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) erhalten. Durch EU-Mittel geförderte Projekte helfen Kleinunternehmer*innen bei der Existenzgründung, sanieren Schulen, Brücken und Jugendfeuerwehrhäuserund sorgen allgemein dafür, dass besonders der ländliche Raum in Brandenburg lebenswert für Jung und Alt bleibt. Der Fläming Skate, seines Zeichens das längste zusammenhängende Skatinggebiet Europas, hat besonders von EU-Zuwendungen profitiert. Dies führt dazu, dass ein großer Teil der Schüler*innen der Region bereits in der Grundschule wie selbstverständlich das Inline-Skaten lernt. Auch für den Ausbau der Breitband-Internetverbindung, besonders in den ländlichen Gebieten Brandenburgs, stehen Förderzusagenin Höhe von 273 Mio. Euro bereit. 
  2. Fast alle wissen ist, aber es kann nicht oft genug gepriesen werden: Es ist mittlerweile (nicht nur für Studierende oder die oberen 1 Prozent) völlig normal, eine Wochenend- oder Urlaubsreise im europäischen Ausland zu verbringen. Und das (meist) ohne Stau an der Grenzkontrolle, wo der Pass abgestempelt wird; (oft) ohne nerviges Geldwechseln; mit einer deutschen Krankenversicherung, die auch im EU-Ausland greift; und ohne horrende Roaming-Gebühren, wenn man mal telefoniert oder ins Internet geht. Was für Menschen unter 25 heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist, war vor 30 Jahren noch unvorstellbar. 70 Jahre ohne Krieg sind höchstens noch für unsere Großeltern ein tatsächlich begreifbares Konzept – alle nachfolgenden Generationen sind in dieser Hinsicht so verwöhnt, dass wir uns keine andere Lebensrealität vorstellen können. Aber wir müssen uns tatsächlich dafür einsetzen, dass es so bleibt!
  3. Mit konkreter Gesetzgebung hat die EU in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass wir heute eine höhere Lebensqualität genießen können als je zuvor. Das Verbot für grenzüberschreitende Tabakwerbung im Internet und in Druckerzeugnissen? Grundlage dafür war eine EU-RichtlinieWeniger Pestizidein unseren Lebensmitteln? Elternzeit für beide Elternteile und einen Mindest-Mutterschutzvon 14 Wochen in allen EU-Ländern? Faire Preise für Güter und Dienstleistungen dadurch, dass Monopolbildung verhindertwird? All das und viel mehr sind die kleinen Wege, auf die die EU jede*n einzelne*n von uns in unserem tagtäglichen Leben beeinflusst und unser Leben besser macht.

Warum denkst du, dass Leute bei den EU-Wahlen wählen sollten?

Egal, ob Kommunal-, Landtags-, Bundestags-, oder EU-Wahlen: Es ist immer wichtig, zu wählen!Jede Person, ob Landwirt*in, Lehrer*in oder Politikwissenschaftler*in, hat Wünsche und Vorstellung, wie sein*ihr Leben und die Gesellschaft in Zukunft aussehen soll. Diese Vorstellungen müssen keinesfalls auf der detaillierten Kenntnis irgendwelcher Gesetzesvorhaben oder Parlamentsausschüsse beruhen. Im Gegenteil: Geh einfach kurz in dich und überleg, was dir wichtig ist. Manch eine*r wünscht sich vielleicht den besseren Schutz der eigenen Daten vor den Zugriffen ausländischer Firmen im Internet, ein*e andere*r hofft, dass mehr Auszubildende mit Erasmus-Förderung ins Ausland können. Manche fordern mehr Transparenz bei den Treffen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments (MdEP) mit Lobbyist*innen, anderen ist der Schutz des Klimas und bedrohter Tierarten besonders wichtig. Um es mit dem bekannten Werbespruch zu sagen: “Jeder Mensch hat etwas, das ihn*sie antreibt.”. Und egal, was dich bewegt – ob Solidarität, Datenschutz, innere Sicherheit und Grenzschutz, Welthandel, Arbeitnehmer*innenrechte, Landwirtschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Straßenbau oder die Kulturlandschaft deiner Stadt – kannst du dich mit deiner Stimme bei der EU-Wahl dafür einsetzen, dass deine Vorstellung Realität wird!

In Deutschland haben wir zwar keine Wahlpflicht, aber wir haben das Privileg, dass unsere Wahlen frei, gleich und geheim ablaufen, mehr als eine Partei auf dem Wahlzettel steht, und die Wahlen noch dazu an einem Sonntag stattfinden, so dass dem Gang zur Wahlurne wirklich nichts mehr im Wege steht!

Was erhoffst du dir von der EU in der Zukunft?

Mir persönlich sind die Themen Gerechtigkeit und gesellschaftliche Solidarität sehr wichtig. 

Auf legislativer Ebene hat die EU hat in sozial- und gesellschaftspolitischer Hinsicht verhältnismäßig eingeschränkte Kompetenzen, aber ich hoffe trotzdem, dass Themen wie die Gleichberechtigung der Geschlechter (gerade in Hinblick auf den Gender Pay Gap, Frauen in Führungspositionen, reproduktive Rechte und Elternzeit), die Rechte von LGBTIQ*-Personen und der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus (Feindlichkeit gegenüber Roma und Sinti) und andere Formen des Diskriminierung weiter auf EU-Ebene vorangetrieben werden. 

Außerdem wünsche ich mir eine tiefere Integration und ein gestärktes Gemeinschaftsgefühl innerhalb der EU, besonders bei den 2004 im Zuge der Osterweiterung hinzugekommenen Staaten. Viele Bürger*innen dieser Länder fühlen sich noch nicht richtig angekommen, was auch daran liegt, dass viele der westeuropäischen Bürger*innen ihnen nicht gerade das Gefühl geben, wirklich ein Teil der Europäischen Union zu sein. 

Nicht zuletzt hoffe ich, dass in Zukunft z.B. im Bereich der Außenpolitik das Mehrheitswahlrecht eingeführt wird, weil die Einstimmigkeitsregelung besonders in letzter Zeit eine nicht unbedeutende Anzahl an Gesetzesvorhaben, gemeinsamen Erklärungen, etc. verhindert oder zumindest abgeschwächt hat. 

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