Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise
Autorin: Deborah Walsleben, Mai 2020

Karneval 2020 in Belo Horizonte, Brasilien. Alle feierten ausgelassen, Menschenmassen auf engstem Raum. Das Coronavirus war zu dieser Zeit eher ein Mythos, ich sah ein paar Brasilianerinnen, die einen Haarreif mit dem Aufdruck der Biermarke „Corona“ trugen und eine chinesische Freundin wurde neugierig beäugt. Doch einige Tage später gab es den ersten bestätigten Fall in Brasilien. Meine Mitbewohnerinnen lachten über den Tweet, dass es natürlich ein reicher Brasilianer war, der das Virus aus Italien mitgebracht hatte. Den Armen blieb ja nichts anderes übrig als in Brasilien zu bleiben und dort Karneval zu feiern. Für die meisten Brasilianer galt Covid-19 in der darauffolgenden Zeit nur als ein Virus der Reichen. Mittlerweile zeigen die erschreckend hohen Fall- und Todeszahlen jedoch ein anderes Bild. Eine Minderheit könnte in Zukunft besonders davon betroffen sein: indigene Völker leiden seit Jahrhunderten unter „Viren der Weißen“ – Epidemien, die von Weißen in ihre Gebiete gebracht werden.

Wiederholt sich die Geschichte?

Im 16. Jahrhundert landete der Spanier Hernán Cortés mit ca. 500 Mann an der Küste des heutigen Mexikos, im Gepäck führten sie unwissentlich eine biologische Waffe mit sich: die Pocken. Diese erwiesen sich als äußerst starker Verbündeter, denn das Immunsystem der Indigenen ist besonders anfällig für eingeschleppte Krankheiten. Pocken, Masern und Grippeviren breiteten sich aus und töteten im heutigen brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso rund 90% der Indigenen. Kein Wunder also, dass jetzt uralte Ängste vor Pandemien in den indigenen Völkern hochkochen und sie lauter nach Hilfe rufen.

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Mindestens 256 verschiedene Völker und ca. 900 000 Personen bilden zurzeit die indigene Bevölkerung in Brasilien, die seit Jahrhunderten strukturell benachteiligt wird. Das ist besonders in einer Epidemie bzw. Pandemie äußerst gefährlich, da sich Krankenhäuser und auch eventuell benötigte intensivmedizinische Versorgung sehr weit entfernt befinden. Der 15-jährige Alvinei Xirixana des Volkes Yanomami ist dafür ein trauriges Beispiel. Nach einem längeren Zeitraum mit Reisen zwischen Dörfern, Falschdiagnosen und Krankenhäusern starb er als erster Indigener in Brasilien am 10.04.20 an den Folgen des Coronavirus. Daraufhin baten indigene Gemeinschaften um mehr Unterstützung, medizinische Posten und Aufklärungsmaterial.

Genozid soll verhindert werden

Ein offener Brief an den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sorgte für internationales Aufsehen. Dieser wird gebeten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Indigenen des Amazonasgebietes vor Covid-19 zu schützen. Verfasst wurde der Brief von dem weltweit berühmten brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado und seiner Ehefrau Lélia und unterschrieben von prominenten Persönlichkeiten, wie Madonna, Paul McCartney und Oprah Winfrey. In einem Interview mit CNN sagte Salgado, sie wollen mithilfe der Petition den Genozid der Indigenen verhindern, indem die tausenden illegalen Goldgräber, Holzfäller, Bergbauer etc. aus den indigenen Territorien verbannt werden. Denn auch die Selbstisolation vieler indigener Völker könne sie nur bedingt schützen, wenn die illegalen Arbeiter vor dem Homeoffice flüchten und weiterhin in der Nähe der indigenen Siedlungen ihre Lager aufschlagen.

Denn gerade diese räumliche Nähe könnte dazu beitragen, dass sich Covid-19 in den indigenen Gebieten ausbreitet und verheerende Folgen und Todesraten mit sich bringt. Deshalb fordern die Gemeinschaften die Schutzbehörden der Indigenen auf, ihren Auftrag ernst zu nehmen, und die illegalen Goldgräber und Holzfäller aus ihren Gebieten zu verbannen.

Bolsonaro gegen Indigene und für Entwaldung

Ein Problem dabei ist das Misstrauen in Bolsonaros Regierung, die die wichtigsten zuständigen Bundesbehörden enorm geschwächt hat. Bolsonaro stellte sich schon im Wahlkampf immer wieder gegen die indigenen Völker. Er betonte, dass Ureinwohner der Vergangenheit und nicht der Gegenwart angehören. Mit ihren Anliegen sollte, seiner Meinung nach, abgeschlossen werden, um die immensen Flächen, die sie besetzen, für die Bergbau- oder Agrarindustrie zu öffnen. Damit gewährt er quasi der Entwaldung im Amazonasgebiet einen Freibrief. Solche Aussagen bestärken einerseits die illegalen Arbeiter, überzeugen aber auch die Indigenen, dass Bolsonaro und einige transnationale Rohstoffunternehmen den Eintritt Covid-19s in die indigenen Gemeinschaften nicht als tragisch empfänden. Dagegen nähmen sie das Virus eher als Gefallen wahr, der ihnen helfe, schneller an ihr Ziel zu kommen.

Auf Salgados Petition reagiert die Regierung eher spöttisch, denn Salgados Absicht sei zwar nett, aber seine Informationslage veraltet. Die brasilianische Regierung hätte schon längst Schritte unternommen, um Besuche und illegales Arbeiten zu verhindern. Außerdem hätten sie in allen 274 indigenen Sprachen die notwendigen Guidelines für die Verhinderung von Krankheiten verfasst und einen Investmentplan für diese Gemeinschaften erarbeitet. Doch Salgado und die Indigenen Organisationen betiteln das als fake news und weisen weiterhin auf die fehlenden Maßnahmen hin.

Auch die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker veröffentlichte, dass gerade die Regierungsschutzbehörden versuchen, die gravierenden Auswirkungen der Pandemie auf indigene Völker kleinzureden. Während das Gesundheitssekretariat für Indigene (Sesai) am 12.05.2020 lediglich 19 Todesfälle und 258 bestätigte Covid-19 Fälle unter Indigenen zählte, berichtete die Indigenen Organisation APIB von 78 Todesopfern und 371 bestätigten Fällen in mindestens 34 verschiedenen Völkern.

https://brasil.elpais.com/internacional/2020-05-06/os-indigenas-da-amazonia-lancam-um-sos-para-pedir-protecao-ante-a-pandemia.html

Ob Covid-19 als ein weiteres „Virus der Weißen“ zu einer Wiederholung der Geschichte führt und ganze Völker ausgelöscht werden, oder die verheerende Pandemie die Indigenen weitgehend verschont, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Das Gesundheitswesen der Amazonasmetropole Manaus ist bereits zusammengebrochen, jeden Tag werden hundert Menschen beigesetzt und alle Intensivbetten sind belegt. Ob bei so vielen Hilferufen aus dem Amazonasgebiet gerade die Ängste der Minderheiten erhört werden, ist äußerst fraglich. Wenn sich aber die Regierungsorganisationen für eine deutlich strengere Verfolgung illegaler Arbeiter auf indigenem Territorium und bessere medizinische Versorgung einsetzen, könnten so viele indigene Völker vor hohen Sterbe- und Infektionsraten durch Covid-19 beschützt werden.

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Stars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

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