In Mumbai wohnen? Das ist … Chaos, Krach, Nahtoderfahrungen im Straßenverkehr, Leben in der Expat-Blase, Smog, scharfes Essen. Das ist „Haste da nicht Angst als Frau?“, endloses Feilschen, Armut und Elend. Oder nicht? Schließlich hat doch schon fast jeder „mal gehört“ oder „mal in der Zeitung gelesen“, wie es in Indien wirklich abläuft.

Für mich ist Mumbai so anders und so viel mehr – unglaublich grün, reich an Geschichte und Kultur, voll mit wunderschöner Architektur (auch wenn sich einem der Magen umdreht, wenn man genauer über die Zustände nachdenkt, unter denen diese Gebäude errichtet wurden) und größtenteils sehr freundlichen und herzlichen Menschen. In manchen Aspekten erinnert es mich sehr an Berlin – für Touristen gibt es vielleicht verlockendere Destinationen, und für Ortsfremde ist der Charme nicht sofort bemerkbar, aber zum Leben gibt es nicht viele aufregendere und schönere Orte. Essen und Wetter sind ebenfalls traumhaft – nach einem halben Jahr im nasskalten Buenos Aires genieße ich jeden Sonnenstrahl, auch wenn er mit Luftfeuchtigkeit jenseits der 50 % einhergeht.

Die Quintessenz ist – mein Leben in Mumbai ist wunderbar. Keine andere indische Stadt vereint dermaßen gekonnt Kosmopolitik und Tradition – und in kaum einer Stadt sieht man derart deutlich die gigantische Schere zwischen Arm und Reich. Mumbai hat die höchste „Millionärsdichte“ Indiens – und den am dichtesten besiedelten Slum Asiens. Manchmal krachen diese beiden Welten auch zusammen – man sitzt im Uber, mit deutschen Freunden, auf dem Weg zum Oktoberfest im Grand Hyatt, und plötzlich klopft es am Fenster, wo eine Frau mit ihrem Kind auf dem Arm um Almosen bettelt. Das holt einen schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Besonders, wenn man bedenkt, dass BettlerInnen das Geld in 90 % der Fälle nicht mal selbst behalten können, sondern an, wie man sagen könnte, eine Art „Zuhälter“ abgeben müssen.

Natürlich ist es krass, solche Zustände mit ansehen zu müssen – auch und gerade weil man sich selbst (in meinem Fall als weiße, europäische Frau) in einer sehr privilegierten Position befindet. Ich werde nicht nur eher im Taxi mitgenommen, sondern bekomme auch einfacher eine Wohnung (viele Inder vermieten lieber an Europäer, weil sie ihren Landsleuten nicht trauen – das komplette Gegenteil von Deutschland). Ich werde oft im Restaurant, bei Starbucks, vom Uber-Fahrer freundlicher behandelt. Ich kann auch in Straßenkleidung in die Lobby eines jeden Luxushotels gehen, ohne schief angeguckt zu werden. Wie man damit umgeht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Das Leben als Expat in Mumbai ist trotz allem wirklich ungemein spannend und facettenreich. Durch mein Praktikum im Konsulat bin ich bei enorm vielen Events wie dem Tag der Deutschen Einheit, dem Oktoberfest der Grand Hyatt, dem Besuch durch verschiedenste Delegationen sowie durch weltwärts-Freiwillige und Rotary-Austauschschüler dabei und erhalte einen einmaligen Blick hinter die Kulissen der Arbeit in einer deutschen Auslandsvertretungen. Auch ist es nicht schwer, neue Leute kennenzulernen – die Expat-Szene in Mumbai ist sehr lebendig und ständig im Wandel, und auch Inder lernt man schnell kennen. Auch wenn Delhi natürlich Indiens Hauptstadt ist, ist Mumbai doch die größte Stadt und der wirtschaftliche, kulturelle und finanzielle Knotenpunkt des Landes. Hier gibt es alles – die coolsten Clubs, die spannendsten Konferenzen, die größten Events. Und auch was Sicherheit angeht, steht Mumbai gut da – zumindest hier in Südmumbai kann man problemlos abends weggehen und zur Not auch noch nach Hause laufen, ohne sich großartig unsicher zu fühlen (was bei einem Taxigrundpreis von knapp 30 ct/km allerdings nicht wirklich nötig ist).
 
Südmumbai ist wie gesagt sicherer, aber dort eine Wohnung zu finden ist im besten Fall etwas nervig und im schlimmsten Fall katastrophal. Aber gut, wo ist es das nicht? Das Kennzeichen, was Mumbai allerdings etwas spezieller macht, ist, dass die Stadt sich auf einer Insel befindet, welche sich Richtung Süden hin verschmälert. Das Problem ist nun, dass im Süden das Gros der internationalen Konzerne, Konsulate, Agenturen, Luxushotels, etc. seinen Sitz hat – und es dementsprechend schwer bis unmöglich ist, dort eine Wohnung innerhalb des schmalen Studierendenbudgets zu finden. Ich habe zwar einen ziemlichen Glücksgriff gelandet – aber der Weg dahin war lang und steinig. Aber wie heißt es so schön – per aspera ad astra.

Bei meiner Ankunft in Mumbai hatte ich noch keine Wohnung – ich kam direkt aus dem Iran und hatte mich einfach nicht zur Online-Wohnungssuche aufraffen können. Allerdings hatte ich ein Hostel ausfindig gemacht, dass nur drei Kilometer von meiner Arbeitsstelle, dem Deutschen Generalkonsulat, entfernt war, und dazu auch nur 5,50 € die Nacht kosten sollte. Gebongt! Mein Sechsbettzimmer erinnerte zwar ein bisschen an ein Stasi-Gefängnis, lag im vierten Stock und die ein oder andere Kakerlake lief mir auch über den Weg, aber ich war zum Glück noch nie besonders wählerisch, Kakerlaken habe ich auch schon in Argentinien genug kaltblütig ermordet, und außerdem hatte ich das Zimmer und das dazugehörige Badezimmer für mich allein, so dass ich alles in allem sehr zufrieden war. Am Tag nach meiner Ankunft hatte ich dann auch schon die erste Wohnungsbesichtigung – und es war sozusagen Liebe auf ersten Blick. Nigelnagelneu (2014 erbaut), mit einer richtigen Dusche (statt dem Eimer, den ich im Hostel hatte), im achten Stock gelegen mit tollem Ausblick, nur fünf Taximinuten vom Konsulat gelegen und für die Lage mit 250 € auch wirklich preiswert: Da musste ich natürlich zugreifen! Der einzige Haken war, dass die Vormieter erst zwei Wochen später ausziehen können würden, aber damit konnte ich in Anbetracht der vielen Vorteile leben. Also verbrachte ich noch eine Woche im Hostel (zum Schluss war ich fast etwas wehmütig, als ich auszog) und couchsurfte dann noch vier Nächte bei einem super coolen Südinder.

Am Tag des vermeintlichen Umzugs schleppte ich dann morgens meinen gesamten Hausrat ins Büro – nur um zu erfahren, dass ich nicht einziehen können würde, da das Mädchen, die sich mit mir die Wohnung teilen sollte, krank geworden sei. Ich konnte weder diese Argumentation besonders gut nachvollziehen, noch war ich sonderlich begeistert von der Aussicht, mich mit Kind und Kegel auf die Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht zu machen (mein Couchsurfer war mittlerweile auf dem Weg nach Dubai). Nach vielem Hin und Her meinte der Agent dann, dass die Vormieter einfach ein Zimmer in der Wohnung für mich frei machen würden, wo ich dann schlafen könnte, bis sie bald endgültig ausziehen würden. Mittlerweile ist etwas über eine Woche vergangen und es hat noch kein einziges Möbelstück die Wohnung verlassen, aber die Erleichterung über einen festen Schlafplatz überwiegt bei mir, sodass ich mich nicht beschwere. So viel zur Wohnungssuche in Mumbai.

Generell fühle ich nach drei Wochen in dieser chaotischen, wunderschönen und vielfältigen Megalopolis aber doch etwas, was ich schon seit meiner Abreise aus Buenos Aires Anfang August nicht mehr gespürt habe – ich bin angekommen. Auch wenn ich nur noch bis Ende November hier sein werde, bevor es nach Taiwan geht, weiß ich jetzt schon, dass ich in Zukunft auf Mumbai als ein weiteres Zuhause zurückblicken werde. Und ist das nicht das Wichtigste?

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