Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2/ Covid 19
Autorin: Alina Colmsee

Donnerstag der 12. März 2020; Recife, Pernambuco registriert den ersten Fall des neuartigen Virusse COVID-19. Zum gleichen Zeitpunkt machte sich die neue Praktikantin des Generalkonsulates Recife auf den Weg in ein ungewisses Abenteuer. Diese Praktikantin bin ich.

Rasant steigende der COVID-19 Fallzahlen in dem Zuständigkeitsbereich des Generalkonsulates, der brasilianische Nordosten, ließen den Fokus meines Praktikums, von dem politisch- kulturellen Bereich, auf das Krisenmanagement umschwenken. Es erschloss sich mir die Frage, wieso der Nordosten, trotz relativ früher und strikter Maßnahmen, in der brasilianischen COVID-19 Statistik direkt nach den beiden Industriemetropolen Sao Paulo und Rio stand.

Nach Betrachtung der lokalen Medien und meinen persönlichen Eindrücken sind mir mehrere Faktoren aufgefallen, die die Bewältigung der COVID-19 Krise im Nordosten Brasiliens erschweren. Neben offensichtlichen Punkt, wie starke Armut und niedrige Bildung, sind Informationskanäle, politische Faktoren und ärztliche Versorgung maßgebend.

Im Einzelnen

  1. Staatliche Sozialhilfe

Brasilianern werden staatlich entweder durch Arbeitslosengeld (durchschnittlich 31,5 €) oder spezielle Subventionen (99,5 € p. P. für drei Monate) unterstützt, um die Grundversorgung der Bevölkerung zu garantieren. Die ausfallende Grundernährung, die vorher durch Distributionen in Bildungsstätten garantiert wurde, wurde nur durch 8€ ersetzt.

Besonders hart von der Krise ist die ärmere Bevölkerung betroffen, die entweder weiterarbeiten muss, da sie Sozialhilfe nicht ausreicht, oder durch Ignoranz, Eigensinnigkeit und mangelnder Bildung die Krise nicht ernst nimmt.  Es wirkt so, als sei die Angst vor fehlender Grundversorgung größer als vor COVID-19.

  1. Isolation

Der Nordosten hat relativ schnell zum Zeitpunkt des ersten Falles die Isolation angeordnet. Die Schließung von dem öffentlichen Leben, wie Einkaufszentrum, Strand und Park, führte nach kurzer Zeit zu leereren Straßen. Der Nordosten ist in der Isolation relativ erfolgreich. Jedoch erreicht keiner der Bundesstaaten die benötigten 70 % der Isolation, wegen des Mangels an Selbstdisziplin und Bildung in der Bevölkerung. Es hat den Anschein, als würde die Polizei an den offensichtlichsten Orten aufgestellt sein, damit sie gut in den Medien repräsentiert sind. Jedoch ist die Kontrolle in den ärmeren Vierteln nötig, wo kleine Geschäft und Kirchen noch immer offen sind und sich Menschen in Gruppen auf der Straße tummeln. Die Isolation wird hier als geschenkte Freizeit angesehen. Dieser Teil der Bevölkerung wird durch die clevere Nutzung von Drohnen als Fieberthermometer beobachtet und dementsprechend durch eine Ansage informiert.

  1. Bundestaat vs Bundesregierung

Genau wie in Deutschland, sind die COVID-19 Maßnahmen auf dem Niveau des Bundesstaates zu treffen. Die Bürgermeister des Nordostens sind kooperativ sehr stark und setzten sich gemeinsam mit dem Gesundheitsminister auseinander und erzielen einen geringeren Preis beim gemeinsamen Einkauf von persönlicher Schutzausrüstung. Aus dieser Kooperation entstand auch das wissenschaftliches Komitee „ C4“ , das  Forschung im Nordostens im Kampf gegen COVID-19 fördert. Ebenso ist der Nordosten von der politischen Opposition der Bundesregierung geprägt, weshalb nicht auf starke staatliche Unterstützung gesetzt wird. Gegenwind aus der Bundesregierung erschwerte den Prozess, da von den Bundesstaaten rechtmäßig erworbene Beatmungsgeräte von der Bundesregierung beschlagnahmt wurden. Dies hat sich durch ein Urteil des Obersten Gerichts klären können. 

  1. Medien

Brasilien hat vor allem seit den letzten Wahlen große Probleme mit Fake news. Zwar wurde nach der Wahl eine Kommission zur Prüfung der Fake news gebildet, jedoch ist bei einer Regierung, die durch Fake News gewählt wurde, kein Einsatz zu erwarten. Um Fake news in Zeiten von COVID-19  zu stoppen, hatte der ehemalige Gesundheitsminister Mandetta eine  Whatsappgruppe gegründet, wo täglich die Richtigkeit von Nachrichten gewertet wurde. Allerdings hat diese Initiative mit dem Wechsel des Gesundheitsministers stark abgenommen. Das soziale Netzwerk Whatsapp hat währenddessen selbst Maßnahmen getroffen, sodass man nur noch Inhalte an eine Person weiterschicken kann.

  1. Ärztliche Versorgung & Hygiene

Sollte jemand Symptome aufweisen, so wird er durch eine fragliche Ferndiagnose in der COVID-19 App untersucht. Diese Art von Ferndiagnose ist wegen des starken Ärztemangels in Brasilien unentbehrlich. Der Nordosten verzeichnet pro 1000 Einwohner 1,3 Ärzte, was insgesamt 15 Mio. Ärzten entspricht. Diese Anzahl an Ärzten ist dem Kampf gegen COVID-19 nicht gewachsen, weshalb Einwohner, mit ausländischem Medizindiplom, nachträglich zertifiziert werden sollen. Aus dieser „Formação da Brigada“ würden doppelt so viele Ärzte wie bisher resultieren.

Trotz neu bestellter Tests gibt es eine geringe Kapazität an Tests und Laboren.  Dies führt dazu, dass der RT-PCR- Test dank langer Warteschleifen nicht 8 Std, sondern 3-5 Tage dauert. Die Zugänglichkeit ist für einen Test sehr schwer, vor allem da er erst bei schwereren Symptomen durchgeführt wird. Der Nordosten beinhaltet 79% der ausstehenden Tests in Brasilien, was auf eine sehr hohe Dunkelziffer schließen lässt.

„Ein Schnelltest wurde für Ärzte und Apotheken zugelassen, aber nur in schwer betroffenen Krankenhäusern umgesetzt,“ berichtet Marcelo Victor Martins Lemos, Assistenzarzt im Getúlio Vargas Krankenhaus in Recife.  

Trotz kurzzeitigen Mangels sind in Brasilien alle essenziellen Hygieneartikel gegen COVID-19 erwerblich. Diese kann sich jedoch nicht jeder leisten. Außerdem ist in den Favelas ein Mangel an Wasser, Seife und Distanz, was die Einhaltung der Richtlinien erschwert. Hilfspakete durch NGOs und der katholischen Kirche versuchen diesbezüglich weiter zu helfen, mit teilweisem Erfolg.

Die mangelnde Infrastruktur, vor allem außerhalb im Inneren des Landes, hat gravierende Konsequenzen auf die medizinische Versorgung, die Laborkette und die Grundversorgung. Ausstehende Lieferungen von Wasser und anderen Nahrungsmitteln und fehlende Busverbindungen zu den Zentren bringen die ländliche Bevölkerung in Existenznot. Die Hilfsorganisation „Amigos do Bem“ versucht diesem Problem mit 60 Tsd. Grundversorgungs-Paketen entgegen zu wirken.  

  1. Infrastruktur

Die mangelnde Infrastruktur, vor allem außerhalb im Inneren des Landes, hat gravierende Konsequenzen auf die medizinische Versorgung, die Laborkette und die Grundversorgung. Ausstehende Lieferungen von Wasser und anderen Nahrungsmitteln und fehlende Busverbindungen zu den Zentren bringen die ländliche Bevölkerung in Existenznot. Die Hilfsorganisation „Amigos do Bem“ versucht diesem Problem mit 60 Tsd. Grundversorgungs-Paketen entgegen zu wirken.  

Wie zuvor beleuchtet, machen starke Mängel in der Infrastruktur, medizinischen Versorgung, Grundversorgung, Selbstdisziplin der Bevölkerung und Informationskanälen den Nordosten in der COVID-19 Krise enorm verwundbar.

Mein persönliches Fazit ist, dass zwar grundlegende Faktoren eine gravierende COVID-19 Krise begünstigt haben, sie aber durch die mangelnde und verspätete politische Unterstützung verschlimmert wurde. Politische Hilfe hat kurz vor den Wahlen im Oktober einen bitteren Wahlkampf-Beigeschmack und wirkt nicht aufrichtig. Die gewohnte Enttäuschung in die Regierung stellt aufrichtige Hilfe von den Bürgern für die Bürger auf die Probe. Jedoch sollte die brasilianische Bevölkerung genau jetzt Druck auf die Politik setzen, denn ohne staatliche Finanzierung gibt es keine bessere ärztliche Versorgung und somit auch kein nahes Ende der Krise.

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2/ Covid 19 entstanden.

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