Endlich – oder auch leider – ist sie da! Die gute alte Normalität. Eines Tages hört man auf, Tagebuch zu schreiben, merkt, dass die täglichen Einsekundenvideos exakt das gleiche zeigen und fragt sich, wo die Besonderheit Marokkos geblieben ist.

Wenn ich die Wohnung verlasse, diese kleine Oase, bin ich jeden Morgen aufs Neue überrascht, dass ich mich immer noch in Marokko befinde. Ich wundere mich, warum die Frauen lange Dschellabahs in bunten Farben tragen, warum der Großteil der Männer um mich herum schwarze Haare und kurze Bärte haben und warum nicht wenige Mädchen zu moderner westlicher Kleidung ein farblich passendes Kopftuch tragen. Wenige Sekunden später weiß ich wieder, dass ich nun den dritten Monat in Rabat bin und aufgrund der vielen Redewendungen des marokkanischen Dialekt, die ich mittlerweile beherrsche, oft Maghribiyya, Marokkanerin, genannt werde. Dennoch bleibt oft die Verwunderung darüber, wie nahtlos ich mich mittlerweile integriert habe.

Maroc_20160408_0910

Keine Inklusion hat stattgefunden, keine Assimilation der marokkanischen Kultur; dies keineswegs. Aber dennoch ist die Parallelgesellschaft, die sich „Internationale Studenten in Rabat“ nennt, verfestigt und in mein Selbstgefühl eingeprägt.

Normalität hat eingesetzt. Gegenüber gibt es Ricotta und Mozzarella in der Boulangerie meines Vertrauens, in der ich bei fast jedem Einkauf kleine marokkanische Gebäcke geschenkt bekomme und jedes Mal wunderbar herzlich empfangen werde. Im Tante Emma Laden von Rachid, direkt nebenan bekomme ich morgens frischen Joghurt und Milch, meist aber auch ein Stück frisches Harcha auf die Hand, was ein marokkanisches salziges Gebäck aus Maismehl ist. Die Boulangerie neben dem fünfsternigen Hotel Rabat hat die besten Croissants des Viertels; aufgeschnitten und mit Schokolade bestrichen. Der Liebste ist aber Ibrahim, bei dem ich Butter nach Maß kaufe und seine süßen Kleinen grüße. Wenn ich mal ein paar Tage nicht vorbeikomme, werde ich regelrecht um Entschuldigung gebeten und nach dem Grund des Fehlens befragt.

Normalität hat aber auch im Alltag eingesetzt. Schlafen bis 8, kurz zur Boulangerie, Frühstück im Wohnzimmer auf dem niedrigen Palettentisch am Sofa. Mit der Tram die halbe Stunde zum anderen Ende der Stadt zur EGE, zur Ecole de Gouvernance et d’Economie. Marokkanische Zivilgesellschaft, Marokkanischer Dialekt, feinstes Hocharabisch vom Ersten, Geschichte der Arabischen Welt, Ländliche und Gender Studien, Politische Gewalt und Wiedergutmachung, bestes Arabisch zum Zweiten. Wochenende. Die Woche ist kurz, das Wochenende lang. Die Texte, gut 150 – 200 Seiten, die es wöchentlich zu lesen gibt, auch.

Chellah

Ist es nun gut oder schlecht, solch eine Normalität zu konstruieren und zu spüren? Für mich gesprochen kann ich sagen, dass ich darüber unfassbar glücklich bin, da es einiges an Unsicherheit von mir nimmt und meine alltägliche Selbstsicherheit ungemein festigt. Zusätzlich ist wohl genau dies eine der Fähigkeiten, die ich während meines Auslandsaufenthaltes erlangen soll: Sich in unbekannten Umgebungen eingewöhnen zu können und sich eine Oase der Ruhe und einen Rückzugsort aufbauen zu können.

Aussicht Rabat

Der dritte marokkanische Monat bedeutet für mich allerdings auch, dass das Semester in einer Woche vorbei ist, die Prüfungen in Arabisch und Darija Dialekt anstehen und dann nur noch 5 Hausarbeiten folgen. Nichts leichter als das. Für den Mai ist Reisen in den Süden angesagt und ich werde die zwei größten Festivals des Landes kennen lernen. Traditionelle Gnaoua Musik im südlichen wunderschönen Essaouira und Mawaziin mit Christina Aguilera und Pitbull in Rabat. Mal sehen, wie die Normalität weiter geht, wenn ich am ersten Juni mit dem zweimonatigen Praktikum hier in Rabat bei der Hanns-Seidel-Stiftung anfangen werde. Ich bin für meinen Teil bin jedenfalls sehr gespannt, wie es weitergeht.

Kommentar verfassen