Als im März das öffentliche Leben in Deutschland heruntergefahren wurde und neben Bars und Restaurants auch Schulen, Kitas, Büros, Spielplätze und Baumärkte schließen mussten, gab es viele Diskussionspunkte bei den allabendlichen Talkshows und Politsendungen. Wie kann die Ausbreitung des Virus effektiv gestoppt werden? Wird das die Wirtschaft ruinieren? Sind innereuropäische Grenzschließungen wirklich der richtige Schritt? Und, nur leider zu oft am Rande der Diskussion: Wie wird diese Quarantäne für Familien aushaltbar sein? Vor allem für die, die in beengten und eventuell sogar unsicheren Verhältnissen wohnen mit dem Risiko, dass häusliche Gewalt ein Teil ihres Lockdowns werden kann.

Seit diesen Diskussionen im März hat sich die Ausgangslage ständig verändert und die meisten Beschränkungen konnten nach und nach wieder gelockert werden. Doch welche Einflüsse hatte (und hat) diese Zeit auf Familien und speziell die Kinder?

Wie ansteckend und gefährdet sind Kinder?

Die Frage, wie infektiös Kinder sind und wie gefährlich das Virus ihnen werden kann, ist immer noch nicht hinreichend geklärt. Eine baden-württembergische Studie untersuchte das Infektionsgeschehen innerhalb von Familien und schloss aus den Ergebnissen, dass Kinder keine Treiber der Corona-Infektionen sind. Sie stecken sich selbst deutlich seltener an als Erwachsene; wie infektiös sie aber tatsächlich sind, wurde nicht untersucht. In einer bekannten und viel diskutierten Studie des Virologen Christian Drosten stellte dieser im Kinderrachen ebenso viele Viren fest, wie bei Erwachsenen – was aber keinen Beweis für eine gleich hohe Ansteckungsgefahr darstellt. Dass Kinder ebenfalls sehr schwer an Corona erkranken können, zeigten Todesfälle von Kindern in New York, bei denen die Krankheit mit völlig neuen Symptomen auftrat.

Nach den Öffnungen von Grundschulen kam es nun vereinzelt zu Ausbrüchen, die Lehrerverbände und Eltern beunruhigen. Und: die Langzeitwirkungen von Infektionen sind bei Kindern natürlich ebenso wenig erforscht wie bei Erwachsenen.

Die aktuelle Situation in Kindergärten und Schulen

Unter anfangs strengen Auflagen wurden Kindergärten und Grundschulen geöffnet. Die Notbetreuungskriterien wurden erweitert, sodass mehr Familien einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz hatten. An den Auflagen gab es aber auch Kritik. Der Kinderschutzbund merkte an, dass die Zulassung zur Notbetreuung nur an den Bedürfnissen der Eltern ausgelegt sei und nicht an denen der Kinder. Auch auf individuelle Bedürfnisse, wie Überbelastung, wurde wenig eingegangen. In der Einrichtung in der meine Mutter arbeitet, sollten beispielsweise Kinder einer fünffachen und durch die Krise überlasteten Mutter abgewiesen werden, da nur die Kinder von Eltern in „unabkömmlichen Berufen“ einen Anspruch auf Betreuung hätten. Je nach Bundesland sind die Kindergärten so wie die Grundschulen seit Juli nun wieder in den „Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“ übergegangen. Die Organisation der teilweise versprochenen regelmäßigen Tests für die Pädagogen wurde allerdings noch nicht abschließend geklärt.

Belastet sind vor allem noch Familien mit Kindern, die nicht mehr im Grundschulalter sind. Die Umstellung auf Homeschooling ist nicht für jede Familie gleich machbar. Während zum einen viele Eltern über eine kaum zu bewältigende Informationsflut klagen, herrschen bei anderen Familien noch viel grundlegendere Probleme. Kinder, deren Eltern kein oder nur wenig Deutsch sprechen, haben kaum Möglichkeiten den Unterricht zuhause zu machen. Außerdem mangelt es oft an der technischen Ausstattung, um überhaupt Zugriff auf die Materialien zu haben.

Erhöhte Belastung für Benachteiligte

Für alle Familien, vor allem für die die in beengten Verhältnissen leben, kann ein wochenlanger Lockdown zu einer großen Belastung werden. Einer Studie der Uni Landau-Koblenz vom April zufolge, sieht ein Viertel der Eltern die Beziehung zu ihren Kindern durch den Unterricht zuhause gefährdet.

Räumliche Beengung und die fehlende Möglichkeit, Abstand zu nehmen, können im Zusammenhang mit der allgemeinen Stresssituation zu einem gefährlichen Umfeld werden. Bereits im März deutete sich ein alarmierender Trend an: der Andrang von Eltern sowie Kindern bei der „Nummer gegen Kummer“ stieg um jeweils über 20%, einen ähnlichen Anstieg verzeichnete das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“.

Die Entwicklungspsychologin Sabina Pauen betont zwar, dass die Coronakrise nicht pauschal eine Extremsituation für Kinder darstellen muss. Es hinge aber sehr von ihren Eltern und deren Möglichkeiten ab, wie gut die Kinder die Zeit ohne Freunde und gemeinsame Freizeitbeschäftigungen „überstehen“ können. Die Umstände können dazu führen, dass die Bildungsschere größer wird: Kinder mit Zugriff auf technische Hilfsmittel und Eltern die viel Zeit für sie haben oder der Fähigkeit sich selbst zu strukturieren sind momentan klar im Vorteil.

Die aktuelle Situation

Obwohl momentan immer mehr Betreuungseinrichtungen wieder geöffnet werden ist die Krise natürlich noch nicht vorbei. Als der Skandal um den Schlachtbetrieb Tönnies beispielsweise seinen Anfang nahm und mehrere hundert Infektionen festgestellt wurden, wurden als aller erstes Kitas und Schulen wieder geschlossen – während das Leben ansonsten kaum eingeschränkt wurde. Ein kompletter Lockdown für den Landkreis wäre laut Bürgermeister Sven-Georg Adenauer „unerträglich“ gewesen. Für die Kinder bedeutete es aber wieder: zuhause bleiben. Der Lockdown für den kompletten Kreis folgte nur kurze Zeit später, die Muster zeigen aber: es werden wohl immer wieder Kinder und Familien sein, die als erstes eingeschränkt werden. Die momentane Ungewissheit und die sich ständig ändernde Lage ist für Kinder kaum nachvollziehbar und für Familien schwer zu organisieren.

Ich arbeite beispielsweise jeden Sommer in einem Freizeitheim, wo explizit darauf geachtet wird Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen einen Platz für Freizeit zu geben. Trotz der in Baden-Württemberg gelockerten Maßnahmen, wird die Betreuung dieses Jahr eingeschränkt auf 24 Kinder in der Woche – statt 300. Wen genau diese Notbetreuung trifft, ist noch nicht vollständig geklärt. Aber es wird wohl keinen Platz geben für alle geflüchteten Kinder und Kinder aus armen Verhältnissen, die nicht in den Urlaub fahren können und nun sechs weitere Wochen zuhause bleiben müssen.

Da sich die Corona-Krise und die damit daherkommenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht innerhalb der nächsten Wochen in Luft auflösen werden, sind andere Lösungswege für Familien gefragt. Ein erster Schritt wurde dafür schon im Juni gemacht, als das Konjunkturpaket verabschiedet wurde, das auch Familien finanziell unter die Arme greifen und öffentliche Einrichtungen unterstützen soll und laut Ministerin Giffey ein „großer familienpolitischer Erfolg“ ist. In vielen sozialen Bereichen wird es jetzt aber vor allem auf den Einsatz von Organisationen und einzelnen ankommen, um die Kinder zu erreichen und ihnen in dieser neuen Art von Alltag zu helfen.

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

Autorin: Marla Budde

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