Hashtags wie #WirBleibenZuhause, #ZuhauseBleiben und #StayAtHome gingen um die ganze Welt und begleiteten auch mich in Quarantäne- und Lockdownzeiten. Doch in Corona-Zeiten hat besonders eine Gruppe von Menschen verschärfte Probleme, sich an Social Distance Regelungen, Hygienevorschriften und das Zuhause Bleiben zu halten: wohnungs- und obdachlose Menschen.

2018 galten 678.000 Menschen in Deutschland als wohnungslos, da sie ohne einen Mietvertrag unfreiwillig in Pensionen, Hostels oder Wohnheimen unterkamen. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe seien davon 50.000 Menschen obdachlos, da sie nach eigenen Aussagen zum Teil freiwillig auf der Straße leben, oft sichtbarer im öffentlichen Raum sind und nur zum Teil in Notunterkünften verschiedener Träger unterkommen. Diverse Sozialverbände und Einrichtungen argumentieren jedoch, dass die Dunkelziffer von wohnungs- bzw. obdachlosen Menschen sehr hoch sei. Gerade diese Menschen sind aus mehreren Gründen stark gefährdet, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.

 https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-obdachlose-109~magnifier_pos-0.html

Besondere Gefährdung für Infizierung

Ein großes Problem ist der Mangel an medizinischen Versorgungsangeboten. 80.000 Menschen in Deutschland haben keine Krankenversicherung und ein Großteil davon ist obdachlos. Das führt dazu, dass es in dieser Gruppe seltener Tests auf verschiedene Krankheiten gibt und größere Ausbrüche und Übertragungsketten sehr spät oder gar nicht festgestellt werden können. Außerdem haben viele Wohnungs- und Obdachlose einen schlechteren medizinischen Allgemeinzustand und weisen häufig unbehandelte Vorerkrankungen oder sogar Mehrfacherkrankungen auf. Nikotin-, Alkohol- oder Drogenabhängigkeiten sind in dieser Gruppe signifikant höher vertreten als im Rest der Bevölkerung und können zur Verschärfung von diesen vorhandenen Krankheitsbildern führen. Vor allem die Vorerkrankungen, der schlechtere medizinische Allgemeinzustand und das fortgeschrittene Alter vieler Betroffenen charakterisieren sie als Hochrisikogruppe zu Corona-Zeiten.

Auch Unterkünfte für wohnungs- und obdachlose Menschen können ein Infektionsherd des Coronavirus werden. Mehrbettzimmer, die häufig von Fremden geteilt werden, bieten nicht die Möglichkeit zur geforderten sozialen Distanz. Räumliche Enge, gemeinsam genutzte Gegenstände und kein oder stark eingeschränkter Zugang zu sanitärer Versorgung erhöhen das Risiko einer Infizierung. Aktuelle Daten zu Covid19 liegen noch nicht vor, aber andere Studien versuchten Übertragungswege von Viren in Obdachlosenunterkünften zu rekonstruieren. Dabei spielten vor allem die Matratzen eine große Rolle, da sie von verschiedenen Wohnungslosen zum Schlafen und Ruhen benutzt wurden.

Zurückgefahrene Hilfsangebote und Alltägliche Probleme

Doch andere Probleme, die durch die Corona-Zeit für Wohnungs- und Obdachlose entstanden sind, rücken größtenteils die Sorgen über eine mögliche Corona-Erkrankung in den Hintergrund. Viele Hilfsangebote, wie Tagestreffs, Kältebusse, Hygienestationen und Kleiderkammern wurden geschlossen. Einige Essensausgaben, wie die Tafel, mussten die kostenlose Verteilung von Lebensmitteln einstellen. Dazu kommen Aufnahmestopps für stationäre Einrichtungen in mehreren Bundesländern, was nur noch ein Unterkommen in kommunalen Notunterkünften möglich macht. Auch das reduzierte Angebot von Beratungsstellen belastet vor allem die Menschen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. All diese Schließungen und Reduzierungen der Hilfsangebote waren notwendig, um zu verhindern, dass sich zu viele Menschen an einem Ort befinden und der Schutz der Menschen und Mitarbeitenden nicht mehr garantiert werden könnte. Der Druck auf die Einrichtungen verstärkte sich durch die steigenden Zahlen der Krankschreibungen der Mitarbeitenden der Einrichtungen und das Wegfallen vieler Ehrenamtlicher. Gerade in medizinischen Hilfsangeboten arbeiten häufig Ärzt*innen und Pflegekräfte im Ruhestand, die somit selbst zur Risikogruppe gehören.

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-hamburg-geschlossene-ausgabestellen-bereiten-tafeln-schwierigkeiten-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200320-99-408866

Das Wegfallen der Hilfsangebote geht Hand in Hand mit anderen alltäglichen Problemen, die sich in Corona-Zeiten verschärfen. Fehlende Laufkundschaft in deutschen Innenstädten führte zu versiegenden Einnahmequellen für Wohnungs- und Obdachlose: Flaschen sammeln, Straßenzeitungen verkaufen, Spenden fielen weg. Die Nutzung vieler öffentlicher Einrichtungen, wie Bibliotheken, war untersagt und auch Behörden und Ämter hatten geschlossen. Deswegen hatten Betroffene Schwierigkeiten, ihren ALG-II-Tagessatz zu erhalten oder Anträge für benötigte Ausweispapiere für die Beantragung von Sozialleistungen zu stellen.

Reaktionen der Politik und von Hilfsorganisationen

Insgesamt gab es wenig klare Ansagen der Verwaltungen der Gemeinden zum Umgang mit Wohnungs- und Obdachlosen und Corona. Obwohl mehrere Städte und Gemeinden, wie z.B. Berlin, beschlossen, ihre Unterbringungskapazitäten auszuweiten, ist das Entzerren der Belegungssituationen in Unterbringungen nicht flächendeckend in Gang gekommen. Um eine starke Ausbreitung des Coronavirus in der Gruppe der wohnungs- und obdachlosen Menschen zu verhindern, wollten Städte und Gemeinden separate Räume für Quarantänefälle schaffen und Teile von Obdachlosenunterkünften in Isolierstationen umfunktionieren. Sozialarbeiter*innen und Polizist*innen versuchen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, möglichst viele Menschen von der Straße in Obdachlosenunterkünfte oder in neu angemietete Räumlichkeiten zu bringen. Das hat den Vorteil, dass die Unterkünfte Sanitäranlagen zum Händewaschen bieten, die Menschen mit Lebensmitteln und sauberer Kleidung versorgt werden können und es mehr Möglichkeiten für medizinische Betreuung, Überwachung und Tests gibt. Wie bereits erwähnt, ist aber die geforderte soziale Distanz schwer in Einrichtungen einzuhalten und lässt sich häufig besser auf der Straße, in Parks oder U-Bahn-Schächten herstellen.

Hilfsorganisationen fordern u.a. eine Reduzierung der Belegungsdichte in den Notunterkünften durch Anmietung von zusätzlichem Wohnraum und Hotelzimmern, die Sicherstellung der Quarantänemaßnahmen für wohnungslose Menschen und die grundlegende Versorgung der Menschen, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben. Zusätzlich bestehen sie auf verständliches Aufklärungsmaterial in vielen Sprachen, da v.a. Nicht-Deutsche Wohnungs- und Obdachlose nicht verstehen, was das Coronavirus ist und welche Konsequenzen es mit sich trägt. Dies sei wichtig, um beispielsweise große Gruppe auf Straßen zu vermeiden. Bundesweite Spendenaktionen durch diverse Organisationen, wie z.B. eine Spende über 250.000€ der Fußball-Nationalmannschaft der Herren, versuchten wohnungslose Menschen und die Wohnungslosenhilfe zu unterstützen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Umgang mit dem Coronavirus wohnungs- und obdachlose Menschen stark beeinträchtigt, wenn nicht sogar vernachlässigt hat und strukturelle Probleme im Umgang mit Wohnungslosen offenbart wurden. Menschen ohne ein Zuhause fehlen in Corona-Zeiten Elemente wie Erreichbarkeit, ein Rückzugsort und die Möglichkeit zur Distanz noch mehr als sonst. Sie konnten weder zuhause bleiben, hatten schon bei Vorsichtsmaßnahmen wie Händewaschen Probleme, die Hilfsangebote schlossen und sie verloren ihre Einnahmequellen. In vielen deutschen Städten, so auch in Regensburg, wurden provisorische Spendenzäune errichtet und Plastiktüten mit Jogginghosen, Tüten mit Tampons oder mit frischem Obst an diese „Gabenzäune“ gehängt. Diese Zeichen der Solidarität mit wohnungs- und obdachlosen Menschen löst dabei leider das Grundproblem nicht. Um dem enormen Anstieg der Mieten und dem knapper werdenden Wohnraum entgegen zu wirken, müsste es eine langfristige Senkung der Kosten geben. Mehr kommunaler Wohnungsbau würde mehr Wohnraum für Obdachlose zur Verfügung stellen. Dann könnte auch die aus den USA stammende Strategie „Housing First“ greifen, die bereits erfolgreich in Finnland ist und in Berlin getestet wird. Grundidee ist, dass jede*r Bürger*in bei Verlust der Wohnung sofort eine neue dauerhafte Bleibe bekommt. Auch wenn sich die durch Corona entwickelten Versorgungsengpässe langsam wieder normalisieren, wird die Pandemie auf der Straße und die strukturellen Probleme trotzdem noch eine besondere Herausforderung bleiben.

Autorin: Deborah Walsleben, 07. Juli 2020

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

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