Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den Friedensprozess in Kolumbien, Autorin: Paula Schaefer

Unsere Welt wirkt wie eingefroren, COVID-19 scheint das Leben zu verlangsamen – aber im Schatten der Pandemie könnte sich ein anderer Konflikt in Kolumbien wieder verschärfen.

Seit ich vor zwei Monaten in eines der letzten Flugzeuge von Kolumbien nach Deutschland gestiegen bin, beobachte ich fast täglich die Entwicklungen in dem Land, dass ich während meines Auslandssemesters für einige Zeit meine Heimat nennen durfte. Zunehmend wird mir dabei bewusst, dass während wir hier in Deutschland von „Entschleunigung“ sprechen, die Pandemie den kolumbianischen Bürgerkrieg intensivieren könnte. Mit fatalen Auswirkungen, nicht nur für den Friedensprozess des Landes sondern vor allem für die Landbevölkerung in vom langjährigen Krieg besonders betroffenen Gebieten.

COVID-19 Pandemie in Kolumbien

23.000 Fälle des neuartigen Virus meldet die WHO aktuell in Kolumbien (Stand: 28.05.2020). Bereits kurz nachdem im März die ersten Fälle bekannt wurden, reagierte die Regierung von Präsident Ivan Duque mit einer Ausgangssperre, die nun erneut bis Ende des Monats verlängert wurde. Gleichzeitig macht COVID-19  die soziale Ungleichheit des Landes sichtbarer denn je, denn Empfehlungen wie „zuhause bleiben“ und „Hände waschen“ sind problematisch, wenn man kein Dach über dem Kopf oder Zugang zu fließendem Wasser hat und der Gewalt illegaler Gruppen ausgesetzt ist. In den abgeschnittenen Regionen des Landes kommt die Pandemie zwar erst langsam an, obwohl auch dort bereits die verhängten Maßnahmen gelten, aber sie hat das Potential Probleme hervorzuheben und Konflikte zu verstärken.

 

50 Jahre Krieg – der kolumbianische bewaffnete Konflikt

Der kolumbianische Konflikt, der in den 60er Jahren begann, zählt zu den längsten innerstaatlichen Konflikten auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Charakterisiert wird er vor allem durch die Vielzahl seiner Akteure: Guerillas (z.B. FARC, ELN), paramilitärische Gruppen, Drogenkartelle und staatliche Beteiligte. Der Friedensprozess begann 2016, als ein Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla unterzeichnet werden konnte. Trotzdem sind weiterhin viele bewaffnete Gruppen, beispielsweise die Nationale Befreiungsarmee (ELN-Guerilla), paramilitärische Zusammenschlüsse und FARC-Dissidenten, aktiv und kämpfen um die territoriale Kontrolle in den ländlichen Gebieten.

Die Zivilbevölkerung in den am meisten vom Konflikt betroffenen Regionen, vor allem indigene und afrokolumbianische Gemeinden, leidet immer noch unter der Kontrolle unterschiedlicher illegaler Gruppen. Insgesamt ließ sich jedoch in den vergangenen Jahren ein, trotz vieler Kritikpunkte, erfolgreicher Friedensprozess beobachten. Doch die Schattenseiten dieses brüchigen Prozesses könnten in Zukunft stärker hervortreten. Das Vakuum, das die Pandemie in einem schwachen Staat wie Kolumbien womöglich schafft, könnten sich illegale Gruppen zunutze machen.

Eine neue Welle des Konflikts?

Klar ist, dass COVID-19 die Umsetzung des Friedensabkommens beeinflussen wird“, warnt Carlos Ruiz-Massieu, Generalsekretär der Verifizierungsmission der Vereinten Nationen in Kolumbien. Zwar führt die Pandemie in einigen Gebieten möglicherweise zu einer Verringerung der bewaffneten Aktionen, in anderen wird sich die Situation aber vermutlich verschlimmern und neue Kämpfe sowie Risiken für die dortigen Gemeinschaften hervorrufen.

Schon jetzt lassen sich heterogene Verhaltensweisen der Gruppierungen beobachten: Während die ELN-Guerilla im April eine einmonatige Waffenruhe verkündete und Verstöße gegen die Quarantänemaßnahmen bestraft, weiteten andere Gruppen ihre Aktionen und Einflussbereiche aus. Welche Risiken die Pandemie für die ländlichen Gebiete birgt, in denen der Einfluss des Staates gering ist, zeigt sich bereits jetzt:

Gewalt und Mordrate steigen an

In den vergangenen Monaten ist die Gewalt gegen die Bevölkerung, vor allem gegen gesellschaftliche Anführer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen sowie indigene und afroamerikanische Gemeinden im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Seit Beginn der Quarantäne wurden mindestens 34 gesellschaftliche Anführer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen sowie sechs ehemalige FARC-Kämpfer*innen ermordet, weil sie sich gegen illegalen Bergbau, Drogenhandel und Gewalt engagieren. Einerseits hat dieser Anstieg damit zu tun, dass sich die Opfer aufgrund der Quarantänemaßnahmen in ihren Häusern aufhalten müssen und somit leichter zu lokalisieren sind, andererseits auch mit der Tatsache, dass die kolumbianische Regierung ihre Prioritäten aktuell  noch weniger als normalerweise auf die Sicherheit der ruralen Bevölkerung setzt.

Erzwungene Umsiedlungen

In den vergangenen Monaten ist auch die Zahl der Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen um mehr als 25% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Besonders massive Umsiedlungen fanden in den von Guerillas kontrollierten Departments Nariño und Cauca statt, beispielsweise wurden über 900 Afrokolombianer*innen aus einer Gemeinde in Nariño vertrieben (siehe Abbildung 2).

Auch wenn es laut der Fundación Ideas para la Paz zu früh ist, um die neue Gewaltwelle mit der Pandemie in Verbindung zu setzen, steigt die Besorgnis über die Auswirkungen der Krise auf den Friedensprozess. Zusätzlich besteht das Risiko, dass die Situation an Sichtbarkeit verliert, da die Ressourcen der Regierung auf die Bekämpfung der Pandemie ausgerichtet wurden.

Die besonders verwundbaren Gemeinden sind noch schutzloser gegenüber dem Virus, da in diesen Gebieten die Kapazitäten der staatlichen Institutionen begrenzt, die Infrastruktur kaum ausgebaut und der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und medizinischer Versorgung minimal ist. Zusätzlich haben sich nationale und internationale Hilfsorganisationen zurückgezogen oder mussten ihr Handeln pandemiebedingt einstellen.

Auswirkungen auf den Friedensprozess

Die Analyse legt nahe, dass die COVID-19 Pandemie die Umsetzung des Friedensabkommens erschweren wird. Mobilitätseinschränkungen und Isolation wirken sich unter anderem bereits auf Infrastrukturarbeiten oder die Bereitstellung von Hilfsgütern aus. Neben Engpässen in der Versorgung besteht auch die Gefahr, dass bewaffnete Gruppen die Situation der staatlichen Überforderung nutzen, um ihren Einfluss auszuweiten und ihre Gewalt gegen lokale Gemeinschaften zu forcieren. Die Resilienz lokaler Akteure wird deshalb entscheidend für die Bewältigung dieser Krise sein. Trotz allem sind auch positive Entwicklungen denkbar, beispielsweise, dass Friedensgespräche mit der ELN-Guerilla wieder aufgenommen werden können.

Fazit & Ausblick

Auch wenn es zu früh ist, die gestiegenen Zahlen an Morden und Vertreibungen definitiv mit der Pandemie in Verbindung zu setzen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Krise erneut diejenigen am härtesten treffen wird, die bereits die Hauptleidtragenden des langjährigen Kriegs waren. Auch der Friedensprozess, der aktuell tatsächlich eher still zu stehen scheint, könnte erheblichen Schaden nehmen. COVID-19 verändert, wie wir nun bereits in mehreren Beiträgen gesehen haben, das Leben weltweit auf vielfältige Weise. Doch je mehr ich mich mit den Implikationen für Kolumbien beschäftige und feststelle, dass die Pandemie die Erfolge der vergangenen Jahre rückgängig machen und die Ungleichheit weiter verstärken könnte, desto mehr wird mir bewusst, in welch privilegierter Situation wir uns befinden. Auch wenn das Virus unser Leben zu verlangsamen scheint, so gilt das nicht für den kolumbianischen Konflikt. Trotzdem bleibt für mich die Hoffnung, dass die Situation auch zu einem Umdenken und mehr Unterstützung für die ruralen Gebiete und die lokale Landwirtschaft führt. Abschließend möchte ich mich dem bereits eingangs zitierten Carlos Ruiz-Massieu anschließen

„Der Friede in Kolumbien kann und darf nicht Opfer der Pandemie werden.“

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Stars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

Leave a Reply