Die Zusammenhänge am Beispiel der Cosa Nostra auf Sizilien

Autorin: Marla Budde

La mafia è come la coronavirus – ti prenderà dovunque.
(Die Mafia ist wie das Coronavirus – Sie kriegt dich, wo immer du bist.)

Sergio Nazarro, Sprecher des Präsidenten der parlamentarischen Anti-Mafia Kommission

Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, hätte ich das ganze Sommersemester in Palermo studiert. Aufgrund der Corona-Krise lebte ich sehr viel kürzer in der sizilianischen Hauptstadt als erwartet, habe mich aber trotzdem innerhalb der wenigen Wochen vor Ort in die lebendige, multi-kulturelle Stadt verliebt und sie nur schweren Herzens wieder verlassen. Die vielen Facetten, die Menschen und die Geschichte der Stadt haben mich ebenso sehr beeindruckt wie das Thema „Mafia“, welches hier einerseits ziemlich unsichtbar und andererseits doch immer sehr präsent ist. Seit den 80-ger Jahren, während denen Palermo zum Schauplatz einer der blutigsten Mafiakriege der Welt wurde, haben sich Auftreten und Einflussgebiete der sizilianischen Cosa Nostra anonymisiert und angepasst. An Stelle interner Machtkämpfe und direkter Angriffe auf den Staat, greift sie heute vermehrt in strukturelle Prozesse ein.

Leere Straßen in Italien
Polizeikontrolle in Palermo

Während momentan Bilder wie diese fast überall auf der Welt Nachrichten und Alltag prägen, gehen der internationale Drogenhandel und Schleusergeschäfte zwangsläufig zurück. Im Kampf gegen Corona wählte das dramatisch betroffene Italien die Taktik strenger landesweiter Ausgangssperren. Die leeren Straßen, Polizeikontrollen und geschlossene Grenzen sind auf den ersten Blick nicht die besten Voraussetzungen für organisierte Kriminalität. Gleichzeitig wird aber vor allem in Ländern wie Italien, wo die organisierte Kriminalität einen festen strukturellen Platz einnimmt, vor deren Stärkung durch die Coronakrise gewarnt. Dieses Phänomen wäre kein neues und hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt. So schafften die italienischen Mafia-Clans es beispielsweise während der Finanzkriseihre Einflussgebiete auszuweiten und ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Siziliens Wirtschaft – von der Cosa Nostra geprägt

Palermos Stadtbild beschreibt eindrücklich, wie zermürbend der jahrzehntelange Mafia-Einflüsse für eine Region und ihre Bevölkerung sein kann. Die in großen Teilen unbewohnte Altstadt zerfällt zusehends. Im Laufe der Nachkriegs-Jahrzehnte machten Immobilienspekulationen der Cosa Nostra eine Vielzahl der Häuser kaum noch bezahlbar. Viele ihrer Bewohner sahen sich dadurch gezwungen, die Altstadt zu verlassen und in Außenbezirke oder extra von der Mafia gebaute Wohnblöcke abzuwandern.

Teile der zerfallenden Altstadt Palermos

Durch Abschöpfung von EU-Fördergeldern erschwert die Cosa Nostra die wirtschaftliche Lage Siziliens, einer der ärmsten Regionen Italiens. Die Jugendarbeitslosigkeit auf Sizilien liegt bei über 50% (zum Vergleich: in Gesamtitalien bei 28%). Im Jahr 2017 lebten 14% der Sizilianer*innen bereits im Ausland und ganze Dörfer sind von wachsender Abwanderung betroffen. Jeder meiner palermitanischen Freunde wünscht sich nichts mehr, als nach dem Studium einen Job auf Sizilien finden und auf der Insel bleiben zu können. Gleichzeitig aber planen alle, in den Norden zu ziehen und dort zu arbeiten, weil es in Italiens Süden kaum Möglichkeiten für sie gibt.

Im Alltag gegen die Cosa Nostra

Seit den Mafiakriegen vor 35 Jahren ist in der Bevölkerung die Gegenwehr gegen die Cosa Nostra gewachsen. In Corleone und Palermo wollen Initiativen mit Anti-Mafia Museen auf das Thema aufmerksam machen und aufklären, um dazu anzuregen, die Legitimität und den Legendenstatus der Cosa Nostra zu hinterfragen. Während man in mancher Bäckerei allabendlich vor Ladenschluss beobachten kann, wie der „Pizzo“, das Schutzgeld, abgeholt wird, tragen andere Läden ein Gütesiegel, das auf deren Unabhängigkeit von der Cosa Nostra hinweisen soll. Auf diese Weise sollen Kunden auf die Geschäfte aufmerksam gemacht werden, die besonders auf Einnahmen angewiesen sind, weil sie auf eine Zusammenarbeit mit der Mafia verzichten.

„Bezahle die, die nicht zahlen“
Addiopizzo

Vor allem jetzt, wo viele Läden geschlossen bleiben und die Einnahmen wegfallen, wird es immer schwieriger unabhängig von der Cosa Nostra zu bleiben. Diese hat die Möglichkeit, auf ganz verschiedene Wege von der aktuellen Krise zu profitieren. Obwohl es in Bezug auf die Geschäfte der Mafia wie schon immer an Zahlen und Statistiken mangelt, lassen sich trotzdem einige aktuelle Risiken identifizieren.

  1. Essenzielle Geschäftsfelder

Nach Ende der Mafiakriege in Palermo hat sich die Cosa Nostra neben dem Drogenhandel in andere und unscheinbarere Geschäftsfelder zurückgezogen. Ihre Einflussgebiete finden sich nun vermehrt innerhalb der Grundversorgung, die auch während eines Lockdowns weiterhin bedient wird. Dazu zählen unter anderem die Abfallentsorgung, Gebäudereinigungs- und Bestattungsunternehmen, aber auch private Krankenhäuser. Seit vielen Jahren machen staatliche Förderungen die Infiltration des italienischen Gesundheitssystems zu einem lukrativen Geschäft für die Mafia.

  1. Vorzeitige Entlassungen

Aufgrund der erhöhten Infektionsgefahr in Gefängnissen, entschieden italienische Behörden gefährdete Insassen zu entlassen und vorerst in häuslichen Gewahrsam zu übergeben. Unter den Entlassenen befinden sich Bosse verschiedener italienischer Mafia-Clans, darunter Francesco Bonura von der Cosa Nostra. Experten wie der Anti-Mafia-Staatsanwalt Cafiero de Raho befürchten, dass die Entlassungen die Mafia-Clans stärken werden, da sich Familienbünde wieder zusammenfinden und reorganisieren können.

  1. Nachhaltige Investitionen

„Wer hungrig ist, sucht Brot, egal, aus welchem Ofen es stammt und wer es verteilt“, benennt der Journalist Roberto Saviano eines der größten Probleme im Zusammenhang von Mafia und Coronakrise. Obwohl der Tourismus selbst nur 4% des sizilianischen BIP ausmacht, sind die meisten Menschen in Servicesektoren, wie Restaurants und Verkauf beschäftigt, die stark von den Einschränkungen während der Corona-Krise betroffen sind. Die Genehmigung staatlicher Hilfen lief in Italien sehr schleppend und hat viele Menschen wochenlang im Ungewissen gelassen. Für die Cosa Nostra ergibt sich daraus eine Möglichkeit, Einzelpersonen sowie Firmen zu unterstützen. Was als Darlehen anfängt, wird schnell zu einer Unterwanderung der Unternehmen. Als Gegenleistung für ihre finanzielle Unterstützung drängt die Cosa Nostra nämlich auf die Einstellung einer Person ihrer Wahl. „This person then starts to give orders, changing products (…). The owner protests, saying it is his company. But he is told ‘Not anymore’.”, erklärt Maurizio de Lucia, Staatsanwalt der sizilianischen Stadt Messina die Methoden der Cosa Nostra. Vor wenigen Tagen wurden bei Großrazzien gegen den Mafia-Clan in ganz Italien mehr als 90 Personen festgenommen, denen unter anderem die Unterwanderung von hilfsbedürftigen Unternehmen vorgeworfen wird.

Im Kampf gegen das Virus und die Mafia

Die Warnungen vor diesen Problemen mehren sich, während der internationale Ausnahmezustand immer länger andauert und die Situation schwieriger zu kontrollieren wird. Auf mögliche Mafia-Aktivitäten reagiert die italienische Regierung aufgrund der bekannten Risiken sehr sensibel. Als es Ende März in Palermo zu einem Aufstand in einem Supermarkt kam, wurde mit sofortiger Wirkung finanzielle Hilfe für besonders Bedürftige freigegeben. Supermärkte werden seitdem von den Carabinieri bewacht. Es wird befürchtet, dass die Cosa Nostra solche Aufstände organisieren will, um die Situation zu destabilisieren und für sich zu nutzen.

Die Problematik, dass der nationale Lockdown zwar Menschenleben rettet, aber gleichzeitig viele Existenzen gefährdet, ist momentan weltweit Debattenthema. Dass dies auch eine Stärkung für organisierte Kriminalität bedeuten kann, wird in der aktuellen Situation verständlicherweise oftmals nur am Rande bedacht. Allerdings kann nur eine staatliche Unterstützung für gefährdete Unternehmen ihre Infiltration auf lange Sicht verhindern. Wie sich die Situation auf Sizilien und in den anderen Teilen der Welt, wo organisierte Kriminalität in dieser Zeit eine Stütze für die Menschen sein kann, entwickeln wird, wird sich erst auf lange Sicht zeigen. Für die gefährdeten Gebiete und alle Betroffenen bleibt zu hoffen:

Andrà tutto bene! – Alles wird gut
*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2/Covid19 Krisen entstanden

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