To Xibalba! Die einzige Zeile aus einem meiner Lieblingsfilme meiner Kindheit, an die ich mich erinnern kann. The Road to El Dorado haben meine Brüder und ich früher rauf und runter geschaut. Wer den Film nicht kennt: Es geht um zwei Spanier, die aus Versehen auf dem Expeditionsschiff von Conquistador Hernán Cortez landen und per Zufall die sagenumwobene goldene Stadt El Dorado finden und dort prompt für Götter gehalten werden. Auch wenn der Film historisch unüberraschender Weise nicht einhundertprozentig korrekt ist, hat er uns als Kindern damals schon begeistert und einen spannenden Einblick in die Hochkultur der Maya gegeben.

„Xibalba“ bezeichnet die Hölle in der Mythologie der Maya und bedeutet so viel wie „Ort der Furcht“. Im Film kommt dies vor, als Tulio und Miguel, den zwei spanischen Protagonisten, eine Opfergabe gemacht werden soll. Die Opferung eines Menschen lehnen die beiden in ihrer Rolle als „Götter“ ab, und freuen sich umso mehr über die Prozession hübscher Maya Damen, die Schalen voller Gold tragen. Als der Stammeshäuptling die beiden fragt „To Xibalba?“, antworten sie unwissend und begeistert: „To Xibalba!“, worauf hin sämtliches Gold in einen Wasserwirbel geworfen wird – der Legende nach der Eingang zur „Geisterwelt“.

Vor allem die Architektur und Kulissen des Filmes fand ich als als Kind so super (Foto von Fanpop).

Wieso mir genau diese Szene so in Erinnerung geblieben ist, kann ich gar nicht sagen (vielleicht die Trauer über den „Verlust“ des vielen Goldes?). Als ich jedoch vor einigen Wochen auf der Yucatan-Halbinsel zwei Mayastätte besucht habe, kamen mir immer wieder verschiedene Szenen aus diesem Film in den Kopf. Kein Wunder, denn Tulúm und Chichén Itzá hätten für den Film Kulisse stehen können.

Das Besondere an den Ruinen in Tulúm ist, dass sie auf Klippen gebaut sind und einen fantastischen Blick auf das glasklare türkise Wasser der Karibik bieten. Verschiedene Bauten sind direkt über dem Ozean gruppiert und von einer meterhohen Steinmauer umgeben. Wenn man in der Mittagshitze durch die Anlage spaziert, mit der Seebrise im Gesicht und der prallen Sonne im Rücken, und dann vor dem Haupttempel stehen bleibt – im Hintergrund die Karibik – beginnt man zu verstehen, wieso dies die dritt meistbesuchte antike Stätte in Mexiko ist. Ich lasse die nächsten Fotos einfach mal für sich sprechen.

Wohingegen Tulúm Schönheit und Idylle bietet, beeindruckt Chichén Itzá mit seiner Vielseitigkeit und Größe. Die weitläufige Anlage bietet einen umfangreichen Einblick in die Kultur der Maya. Ballspielplatz, Stufenpyramide und verschiedene Tempel erzählen von der hohen Wichtigkeit, die religiöse Rituelle im Alltag der Maya hatten. Stundenlang könnte man durch die Anlage spazieren und immer noch nicht alles genau gesehen haben.

Zunächst wird man in Chichén Itzá von den schieren Besuchermassen quasi erschlagen – es erwartet einen eine mehrere Hundert Meter lange Schlange vor dem Ticketschalter. Am Ende hatten wir doppelt Glück, als wir entschieden haben, uns von einem Guide durch die Anlage führen zu lassen. Erstens, weil wir dadurch die Schlange vermeiden konnten, und zweitens, weil wir dadurch so viel mehr über die Stätte und Mayakultur gelernt haben, als wir von den Infotafeln hätten ablesen können. Unser Guide stammte nämlich von den Maya ab, spricht zuhause mit seiner Familie noch die Sprache der Maya und lebt auch einige ihrer Traditionen noch aus.

Während unserer Tour haben wir die Maya als eine faszinierende, hochkomplexe und streng hierarchische Gesellschaft kennengelernt, in der Rituale und Opfergaben eine zentrale Rolle gespielt haben. Kern der Ideologie der Maya war die Transzendenz in höhere Sphären und Wiedergeburt des Selbst nach einem ehrenvollen Tod. Die strenge gesellschaftliche Hierarchie sah dies allerdings nur für die adlige Oberschicht vor. Diese Rollen waren in der Gesellschaft sehr starr und wurden innerhalb der Familie vererbt – die Position des Vaters innerhalb der Gesellschaft legte also fürs Leben lang die Rolle aller Nachkommen fest.

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El Castillo, die größte und wichtigste Pyramide der Anlage, war Kukulkan, dem Gott der Auferstehung und Reinkarnation gewidmet.

Chichén Itzá soll für die Maya das gewesen sein, was für Katholiken der Vatikan oder für Muslime Mecca ist. Jedes Jahr pilgerten wohl Tausende Maya dorthin, um an religiösen und spirituellen Ritualen teilzunehmen. Jedes Dorf der Region entsendete eine Delegation mit Repräsentanten aller wichtigen gesellschaftlichen Rollen – Priester, Krieger, Ballspieler und Prinzessin. All diese Rollen bildeten die Oberschicht der Mayakultur. Um sich vom allgemeinen Volk zu distanzieren,  veränderten diese Menschen durch ästhetische Eingriffe ihr Aussehen. Jungen wurde ab wenigen Tagen nach der Geburt über einen langen Zeitraum hinweg in einem schmerzhaften und oft tödlichem Verfahren der Schädel verformt, sodass er künstlich nach Hinten verlängert wurde. Adligen Mädchen und Frauen setzte man in ihre Schneidezähne kleine Jadesteinchen in einer Dreiecksanordnung ein. Bei einem Lächeln wurde so die Sonne reflektiert und führte zu einem weit sichtbaren Funkeln. Solche kosmetischen Eingriffe sollten die Oberschicht näher an ihr Schönheitsideal bringen und ästhetische Abgrenzungen zum Fußvolk erschaffen.1

Diese starre Hierarchie, in Verbindung mit der Ideologie der Transzendenz und Reinkarnation, sorgte dafür, dass es nur adligen Bürgern „gestattet“ war, den Göttern geopfert zu werden. Bei Dürre und Nahrungsmittelknappheit zum Beispiel suchte der König von Chichén Itzá eine Prinzessin aus einer der vielen Delegationen aus, damit sie geopfert werden konnte. Oft waren diese Prinzessinnen nicht mehr als zwölf oder dreizehn Jahre alt.

Das rituelle Ballspiel und dessen Konsequenzen drücken diese Ideologie vielleicht am besten aus. Zu besonderen Anlässen wählte der König zufällig aus den Delegationen je zwei Mannschaften à sieben Spielern aus, die gegeneinander antreten mussten. Ziel des Spiels: einen Kautschukball nur mit der Hüfte, den Knien und den Ellenbogen durch einen hoch an der Wand montierten Steinring zu befördern. Das „Spiel“ konnte mehrere Tage andauern; erst in der Endphase waren wohl auch besondere Schläger zugelassen, die das Erzielen von Punkten vereinfachten. Nach Beenden des Spiels wurde laut unserem Guide der Kapitän der Mannschaft, die gewonnen hatte, von dem Kapitän, der verloren hatte, hingerichtet: als Preis für seinen Sieg konnte er sein irdisches Leben beenden und im Paradies als Gott wiedergeboren werden. Für den Verlierer war dies eine Schande; er war aus der Gesellschaft verbannt und konnte auch nicht mehr in sein Heimatdorf zurückkehren. Deswegen war der einzige ehrenvolle Ausweg der Selbstmord, durch den auch er als Verlierer noch das Paradies erreichen konnte – nur nicht als Gott. Ehre muss also in der Gesellschaft der Maya im Alltag eine sehr große Rolle gespielt haben.

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Einer der Ringe des Ballspielplatzes in Chichén Itzá – der größte seiner Art in ganz Mesoamerika.

Durch die großen Tempelanlagen zu schlendern und von der Hochkultur ihrer Erbauer von einem ihrer Nachfahren erzählt zu bekommen lässt diese faszinierende Gesellschaft im Schatten der Pyramiden lebendig wirken. Es folgt komplettes Unverständnis, wieso die spanischen Conquistadores das Ziel hatten, diese hochkomplexe Kultur, sowie die der Azteken weiter nördlich im Land, komplett auseinander zu reißen. Wie würde eine solche Gesellschaft im 21. Jahrhundert aussehen? Kann man sich eine Maya Bevölkerung mit Smartphone vorstellen?

The Road to El Dorado war für mich als Kind eine bunte Einführung in diese Welt, und beschäftigt mich seitdem auch. Selbst vor Ort gewesen zu sein war unglaublich spannend. Und jetzt weiß ich auch, dass der Film den berühmten Ballsport in einer Szene genau verkehrt und falsch dargestellt hat – man lernt nie aus.

1. Unter anderem von diesen deformierten Schädeln stammt die Idee, dass die Maya mit Außerirdischen Kontakt hatten und sich versucht haben, ihrem Aussehen anzupassen – alles eher nicht bewiesen. Generell werden die Maya und auch Azteken oft mit dem Weltraum und Außerirdischen in Verbindung gebracht. „Wie haben sie die Pyramiden gebaut?“ „Wie konnten sie so exakt über Astronomie und das Weltall Bescheid wissen?“ 

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