Zu meinem Praktikum bei der Friedrich Ebert Stiftung in Lusaka gehörte letzte Woche die tolle Möglichkeit, im Rahmen einer Konferenz über Social Protection nach Johannesburg zu reisen. Zusammen mit dem Staff der FES war es meine Aufgabe, die Konferenz im Hintergrund organisatorisch zu betreuen. Das war eine tolle Erfahrung, auch wenn der Stress Level durchgängig sehr hoch war und der konstante Schlafmangel seine Spuren hinterlassen hat. Ich hatte zum Glück aber auch die Möglichkeit, mir viele der Reden und Diskussionen anzuhören und konnte so auch inhaltlich etwas mitnehmen.

Die 10 Tage in Südafrika haben meine Aufmerksamkeit aber auch noch auf andere Dinge gelenkt. Speziell die Studentenproteste sind ein tägliches Gesprächsthema, deshalb möchte ich einen Blogeintrag darüber schreiben. Denn wie so viele andere Erfahrungen zeigt auch diese das unglaubliche Privileg in Deutschland aufwachsen zu dürfen.

Südafrikas Universitäten werden völlig zu Recht als die Besten des ganzen Kontinents gesehen. Die Forschung und Lehre dort steht vielen europäischen oder nordamerikanischen in Nichts nach, und die Abschlüsse dort sind weltweit hoch angesehen. Teilweise ist dieser nicht selbstverständliche Standard den Strukturen des aus Europa mitgebrachten Bildungssystems geschuldet, doch aus diesem Grund sind die Strukturen vielleicht auch nicht mehr zeitgemäß.

Die Studentenproteste begannen 2014 in der kleinen Stadt Grahamstown im Süden Südafrikas nahe Port Elizabeth.  Die dortige Universität ist nach dem britischen Kolonialisten Cecil Rhodes benannt, was schon immer mindestens umstritten war, in den Augen vieler aber als blanker Hohn gesehen wird, verkörpert Rhodes doch längst vergangene, längst bewältigte Zeiten und Systeme. So begann eine Kampagne, die heute mit dem hashtag #feesmustfall umschrieben wird eigentlich mit dem Protest gegen die Hommage an die Kolonialzeit. Damals hieß es #rhodesmustfall und das wurde wörtlich genommen: Die Statue gibt es nicht mehr. Trotzdem hat die Universität ihren Namen aber behalten.

Diese Proteste stellten aber nur einen Funken dar, der schon bald ein großes, landesweites Feuer des Protests entzündete. Denn selbstverständlich symbolisiert Cecil Rhodes nicht nur die britischen Eroberungen, sondern auch eine systematische Diskriminierung großer Teile der Bevölkerung, was in der Apartheid seinen Höhepunkt fand und soziale Ungleichheit im Sinne von fehlender  Chancengleichheit auf Jahrzehnte in Südafrika manifestierte.

Natürlich sind inzwischen alle Bevölkerungsteile per Gesetz gleichgestellt, doch in der Praxis sieht die Sache anders aus. So ist zum Beispiel die Kolonialzeit längst vorbei, dennoch werden die damaligen Persönlichkeiten noch heute in Ehren gehalten. Und so ist die Apartheid offiziell zum Glück vorbei, aber in manchen Bereichen halt doch nicht.

Die nach wie vor extreme Chancenungleichheit manifestiert sich neben andere Aspekten vor allem im Bildungssystem. Das geht natürlich los in den Grund- und Hochschulen, die ich ja selber im Rahmen meines freiwilligen Dienstes in Mamelodi kennengelernt habe, und wird im Kontext der Universitäten zu einem unüberwindbaren Hindernis für viele. Die Studiengebühren betragen jährlich bis zu 50.000 Rand (ca. 3500 Euro), was Statistiken zu Folge gerade mal 2% der Bevölkerung Zugang zu Universitäten erlaubt. Darüber hinaus geht es den südafrikanischen Studenten mit der Wohnungssuche auch nicht anders als uns. Wohnraum in Städten ist sehr begrenzt, und manche Universitäten haben auch die seltsame Regel, dass Studierende in speziellen Wohnheimen mache der Uni untergebracht werden müssen, welche dann mal locker das Doppelte einer normalen WG kosten. So entstehen Schuldenberge von fast einer halben Million Rand im laufe eines Studiums. Ob Kredite dafür bewilligt werden, ist fraglich. Die ethnischen Unterschiede sind dabei besonders krass. Nach wie vor sind es vor allem die weißen Südafrikaner, die über genügend Kapital verfügen um ihre Kinder auf Universitäten zu schicken. „Apartheid never ended in this country“ sagte mir während meines Besuchs dort eine Studentin, als ich sie genau darauf ansprach.

Dieses System ist erzkonservativ, den Wohlstand und die Macht Weniger bewahrend, und verhindert den Aufstieg fast aller. Das konnte nicht gutgehen. Nachdem also Rhodes, das Gesicht der manifestierten Ungleichheit gestürzt war, machten sich die Studentenproteste daran, auch das System an sich zu revolutionieren.  So sprang der Funken über auf das ganze Land, und in allen  Universitätsstädten gingen die Proteste los. Viele Studenten, quer durch alle Bevölkerungsschichten, schlossen sich der Bewegung an und die faszinierende Vision des kostenlosen Studierens schien die Studenten zu einen. Leider schlug die Stimmung aber auch schnell um. Die eigentlich friedlichen Proteste wurden durch einige wenige aufgemischt, und so entstanden Szenen, die in Südafrika eigentlich einem anderen Jahrhundert zugeordnet werden.

Um sich Gehör gegenüber einer zunächst sehr ignoranten Politik zu verschaffen zogen beispielsweise Studenten aus Pretoria vor die Union Buildings, den Sitz der Regierung, um friedlich aber bestimmt und sehr ernsthaft zu protestieren. In der Menge waren auch Professoren dabei und Blacks, Whites und Coloureds waren zumindest für den Moment vereint. Die Reaktion der Regierung war dann schockierend. Panzerwägen, Hundertschaften an Polizei und Militär , Wasserwerfer und Rubberbullets waren die Antwort auf die Demonstranten. Es kam wie es kommen musste, und in vielen Städten ist die Situation eskaliert, wobei ich betonen möchte, dass der allergrößte Teil der Demonstranten friedlich bleibt. Nur einige wenige nehmen die Proteste als eine Art Freibrief um Autoreifen anzuzünden, Steine zu schmeißen oder Glasscheiben einzuschlagen.

Die politische Antwort seitens der Regierung, aber auch seitens der Opposition, lässt bisher auf sich warten. Zwar wurde eine Sonderkommission gegründet, die ein Konzept zur Anpassung der Studiengebühren vorlegen soll,  doch auf Ergebnisse müssen die Studierenden seit mehr als einem Jahr warten. Das liegt sicher daran, dass überhaupt nur ein Bruchteil der südafrikanischen Bevölkerung direkt davon betroffen wäre, aber sicher auch an fehlendem politischem Willen, das bestehende System zu ersetzten.

Es ist sicher auch dieser Ignoranz geschuldet, dass sich in den letzten Jahren eine kleine politische Revolution andeutet.  Der ANC (African National Congress), die Partei, die unter Mandelas Führung den Neubeginn nach der Apartheid in Südafrika gestaltet hat und nach wie vor den Präsidenten stellt, verliert mehr und mehr an Stimmen.  Korruptionsvorwürfe und die Nichteinhaltung von Wahlversprechen tun ihr Übriges um die politische Landschaft zu verändern. In den Regionalwahlen dieses Jahr gingen vor allem die großen Städte, wo es ja auch die Universitäten gibt, an die Opposition. Die Reaktion des ANC ist zumindest nicht öffentlich. Bisher geht es mit Business as usual weiter, und der Präsident steckt in internen Machtkämpfen fest, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob er die ganze Amtsperiode politisch überleben kann.

Und so kann die #feesmustfall Bewegung auch als eine symbolhafte Bewegung gesehen werden, die den Born frees endlich eine Stimme gibt. Bisher war, nach meinem Eindruck, die südafrikanische Politik noch sehr im 20. Jahrhundert stecken geblieben und hat sich wenig um die Bedürfnisse der jungen Generation gekümmert. Die Quittung dafür sind nun die Proteste, und ich hoffe sehr, dass einerseits die Proteste inhaltlich erfolgreich sein werden und die gigantische Ungleichheit im Land ein Stück weit reduziert werden kann. Andererseits ist es aber auch eine Möglichkeit einer ganzen Generation, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und den Fokus mehr auf die Gegenwart und die nahe Zukunft zu legen.

Ich bin gespannt wie es weitergeht, und hoffe sehr, dass das deutsche Privileg einer kostenlosen universitären Bildung auch in anderen Ländern ein Standard wird, denn wie Mandela selbst gesagt hatte: education is the most powerful weapon to change the world!

 

One thought on “#feesmustfall”

  1. Nachrichten+Kommentar zu „feemustfall“ 01.11.16
    von Hannelore und Hermann-J. Eblenkamp
    Hallo, lieber Florian!
    Deinen Bericht über die 10-Tage-Konferenz in Johannesburg haben wir mit Interesse gelesen. Erstaunlich, wie du inzwischen in der Welt herumkommst!
    Das Bildungswesen speziell im Hochschulbereich ist wohl überall in der Welt in der Diskussion; es gibt ja immer und überall Ansätze oder gar Proteste mit denen etwas verbessert werden kann. Wenn das in Südafrika zur Zeit besonders akut ist, hängt das gewiss mit der kolonialen Vergangenheit zusammen, wie Du schreibst. Dennoch sind ja offenbar gerade deswegen tragfähige Strukturen vorhanden, die optimiert werden könnten. Dass die Studiengebühren so hoch sind und daher die ärmeren (farbigen!) Studierenden benachteiligt werden, das ist ja teilweise auch in modernen westlichen Ländern noch der Fall. Wenn aber die Regierung sich bereits mit dem Mißstand befaßt, ist zu hoffen, dass schrittweise eine Verbesserung erfolgt. In anderen afrikanischen Ländern ist man ja wohl davon noch weiter entfernt.
    Dir wünschen wir weiterhin viel Freude und Erfolg im Rahmen Deines abwechslungsreichen Studiums und grüßen Dich herzlich.
    Deine Großeltern
    Oma + Opa aus Vreden

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